Bild zeigt BuchcoverEin Buch beschreibt, wie in der DDR Industrie-Design entstanden ist – vom Kofferradio puck über Hafenkräne bis zum unkaputtbaren Duroplast-Geschirr: Design made in DDR. Dafür befragt Günter Höhne, selbst Fachmann für Design, Martin Kelm. Kelm war als Leiter des Amtes für Industrielle Formgestaltung (AIF) der Chef-Designer der DDR.

Die beiden sind alte Bekannte. Höhne hatte als Journalist bereits Ende der 70-er Jahre Interviews mit Kelm geführt. Später war er Chefredakteur der vom AIF herausgegebenen Fachzeitschrift form + zweck. Dem Buch ist diese lange Bekanntschaft bekommen. Sachlichkeit und Plauderton, Persönliches und Politisches verbinden sich zu einer aufschlussreichen Zeitreise. Das Werk ist dabei kein Buddy-Buch. Es ist von gegenseitigem Respekt geprägt, Dissonanzen inbegriffen.

Formgestaltung oder Industriekosmetik
Design-Kenner werden auf viele bekannte Namen treffen. Design-Interessierte auf unbekannte, weil oft randständige und daher umso interessantere Fakten. Wie die Tatsache, dass Formgestaltung in der DDR fast kein Hochschulfach geworden wäre, weil es unter Verdacht einer bloßen Industrie-Kosmetik geraten war. Die Entscheidung fiel dann bei der Verteidigung der Diplomarbeiten des ersten Studienjahrgangs an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, zu dem Kelm gehörte. Als deren Gäste votierten Generaldirektoren, Chefkonstrukteure und Technische Leiter vehement für die Nützlichkeit des Studiengangs. Einige der vorgestellten Entwürfe gingen danach sofort in Serie, wie die Kleinbildkamera Penti und der Fernseher Weißensee.

Kelm erzählt über die Etablierung der Formgestaltung als Studiengang an der Burg Giebiechenstein in Halle und über die Rekonstruktion der verfallenen Bauhaus-Gebäude in Dessau. Mit Unterstützung Horst Sindermanns, damals Vorsitzender des DDR-Ministerrats, hatte er Erich Honecker für die Geschichte und Bedeutung des Bauhauses interessiert, bis der am Rande eines Jagdausflugs sagte: “Dann macht doch!”

Auch mit Honeckers Vorgänger Walter Ulbricht hatte Kelm zu tun. Beim Eröffnungsrundgang der VI. Deutschen Kunstaustellung in Dresden 1967 missfiel Ulbricht das ausgestellte serielle Möbelprogramm, von der Burg Giebichenstein für Hellerau entwickelt. Er als gelernter Tischler wisse, was der Bevölkerung gefalle, jedenfalls nicht eine solche Langeweile in Form von Bretterstapeln. Ulbricht akzeptierte dann Kelms Erläuterung, dass eine frei zusammenstellbare Möbelwand zu den geänderten Raumverhältnissen in Neubauwohnungen und den unterschiedlichen Bedürfnissen der Familien passe. Überhaupt Hellerau: Die ersten 300 Rückenlehnen des vieltausendfach in den Hochschulen und Universitäten eingesetzen Seminarstuhls von Selman Selmanagić wurden aus in Hellerau eingelagerten Sperrholz-Teilen der Rakete V2 geschnitten.

Eine echte Design-Revolution
Und was bleibt? Im letzten Kapitel fragt Kelm sich und uns: “Was um alles in der Welt brauchen wir?” Er zitiert einen UN-Report und dessen Forderung nach einem Wandel von einer linearen zu einer Kreislaufwirtschaft. Und sieht das DDR-Design als Beispiel, das schon allein aus Ressourcenmangel versucht habe, Nachhaltigkeit zu verwirklichen – zum Beispiel durch Langlebigkeit und Reparaturfähigkeit von Produkten. “Die Durchsetzung einer tiefgreifenden Nachhaltigkeit wäre eine echte Design-Revolution”, schreibt Kelm.

Der Kuchen heute auf unserem Tisch wurde zusammengerührt mit einer AKA combifix, seit 40 Jahren in Funktion ganz ohne Sollbruchstelle. Ich denke an den grünen Trabi, den ich 1990 einem Kollegen abgekauft hatte. Und betrachte im Buch dessen Nachfolgemodelle von 1979 und 1982, gebaut nur als Werksentwürfe. Mal sehen, wie lange es unser aktueller Skoda macht. Unberufen.

Das Buch ist im Verlag Das neue Berlin erschienen, hat 256 Seiten und kostet 16 Euro. Unter dem Link im vorigen Satz finden sich auch eine Leseprobe und Termine für Buchpräsentationen.

Siehe auch im Blog:
Neun Pfund DDR-Design
Erfindungen aus der DDR
DDR-Mode zwischen Mangel und Schick
Bauhausmädels
Ost Places

 

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