Ulrich van der Heyden analysiert aktuelle Dispute zur Kolonialgeschichte: “Mohren, Missionare und Moralisten. Eine Streitschrift zum Umgang mit der kolonialen Vergangenheit”.

Bild zeigt BuchcoverVan der Heyden ist Afrika-, Missions- und Kolonialhistoriker sowie Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Afrika. Auf seiner wissenschaftlichen Habenseite stehen 60 monographische Publikationen, 230 wissenschaftliche Aufsätze, die (Mit-) Herausgabe von sieben Buchreihen. Ein Kapitel der Streitschrift stammt von Werner Lange, der sich im Buch der Ausgrabungsgeschichte des Pergamonaltars widmet.

Der Autor ist Jahrgang 1954. Und damit in einem Alter, in dem er keine Rücksicht nehmen muss auf Förderungen, Berufungen, Drittmittelkürzungen. Gegen den Strich geht ihm die Ignoranz gegenüber Erkenntnissen der Kolonialforschung in der DDR, deren Ergebnisse mitunter stillschweigend übernommen worden seien – bei gleichzeitiger Diffamierung der Ost-Wissenschaftler und deren antikolonialer Haltung.

Gewaltig auf die Nerven fällt ihm auch die Tatsache, dass in der Diskussion Laien und Aktivisten den Ton angeben. Sie würden Sachlichkeit durch Moralisieren ersetzen, geschichtliche Zusammenhänge ignorieren, Fakten zurechtbiegen und diese dann ideologisieren. Im Versuch eines „Kulturwandels“ erhielten selbst krudeste Ansichten ein akademisches Mäntelchen.

Van der Heyden zitiert den Philosophen Michael Andrick, der das Moralisieren einen großen Trick nennt: “Wer den großen Trick zur rechten Zeit anwendet und sich dabei in Pose zu werfen weiß, der kann mit fast allem davonkommen: mit eindeutiger Inkompetenz und erwiesenen Lügen, mit einer selbstgemachten Rezession, mit sichtbarer Korruption […]. ”

Die Streitschrift ist voller Beispiele dafür: Die Posse um den Kilimandscharo-Besteiger Ernst Meyer, den deutsche Aktivisten als Rassisten schmähen, während ihm Tansania eine Gedenktafel errichtet. Eine vom Berliner Senat finanzierte Broschüre “Grenzgänger.innen. Schwarze und osmanische Präsenzen in der Metropole Berlin um 1700“, die aus einem Vorfahren des Historikers Götz Aly ein Rassismus-Opfer konstruiert – Pech für sie, dass Aly sich auch in seiner Familiengeschichte auskennt und den Autoren Plagiate und die Verherrlichung des Kolonial- und Sklavenhalterstaates Osmanisches Reich vorwirft. Die Rückgabe der Benin-Bronzen – die dann nicht in dem von Deutschland mit 4 Millionen Euro geförderten Museum ausgestellt werden, sondern an die Nachfahren des damaligen Königs gehen. Die Geschichte eines Mosambikaners, dessen tragischen Unfalltod in der DDR ein westdeutscher Historiker zu einem von der Stasi vertuschten Nazi-Mord umdichtet – eine Version, die von Medien begeistert und ungeprüft gekauft wurde. Eine Herkunftsforschung für Kulturgüter, die den kleptokratischen kongolesischen Diktator Mobuto Sese Seko als Vorkämpfer der Rückerstattung feiert.

Erklärbar wird das, wenn man wie der von Ulrich van der Heyden zitierte afroamerikanische Linguist John McWhorter Antirassismus nicht als Ideologie sieht, sondern als Religion, bei der man mit Argumenten und Logik nicht weit kommt.

Als wollte das Leben die Thesen van der Heydens befördern: Am Tag, als der Rezensent diese Besprechung schreibt, erscheint in der Berliner Zeitung der Beitrag einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin, die einem postkolonialen Reiseführer folgend Namibia bereist, das ehemalige Deutsch-Südwestafrika. Was sie in ihrem Text nicht erwähnt: Die umfangreiche Unterstützung der Befreiungsorganisation SWAPO durch die DDR, die hunderte Namibier aufgenommen hat und später mit einem eigenen Programm rund 400 namibischen Kindern Zuflucht vor dem Bürgerkrieg bot. “Die DDR war unser zweites Zuhause”, sagte Sam Nujoma, SWAPO-Gründer und erster Präsident des freien Namibia.

Eine Streitschrift auf verlor’nem Posten in dem Meinungskriege. Gut, dass es sie gibt. Und ein lesenswerter Einblick in die koloniale Vergangenheit Deutschlands.

Das Buch ist im Verlag am Park erschienen, hat 290 Seiten und kostet 22 Euro.

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