Ein Werbeslogan hat sich fast unbemerkt in sein hundertjähriges Jubiläum geschlichen: Schreibste ihr, schreibste mir, schreibste auf M.-K.-Papier. Als er 1924 erdacht wird, liegt der Namensgeber des Papiers Max Krause schon mehr als zehn Jahre auf einem Friedhof in Berlin-Kreuzberg. Sein Todestag jährt sich am 16. Oktober zum einhundertelften Mal.
Max Krause ist der Erfinder und Entwickler einer ganzen Branche – der Papierausstattung. Eigene Maßstäbe setzte er auch als sozial eingestellter Unternehmer. In Ergänzung der Sozialgesetzgebung Bismarcks gewährte er den Arbeitern seiner Fabriken zusätzliche Unterstützungen: eine Pensionskasse, eine Alters- und Invalidenkasse, eine Sterbekasse, eine Krankenkasse, eine Lohnfortzahlung für gesetzliche Feiertage, eine Stiftung, die Kinder in die Sommerferien sendet, eine Fabrikküche, eine Bücherei, eine Gewinnbeteiligung. Der Lebensweg Krauses ist eine vom Tellerwäscher-zum-Millionär-Story, wie sie eher in den USA zu vermuten wäre als hierzulande. Das kaiserliche Deutschland war vielseitiger als sein Ruf.
Sabinchen war ein Frauenzimmer, und Max, der war schon weg
Max Krause wird 1838 in Treuenbrietzen geboren, einem Städtchen im Fläming. Dessen bekanntester Bürger ist ein anonymer Schuhmacher, der seit 1849 in einem weithin bekannten Lied das tugendhafte Frauenzimmer Sabinchen besucht. Der kleine Max ist zu dieser Zeit nicht mehr in Treuenbrietzen, sondern Zögling im Pieschelschen Waisenhaus in Burg bei Magdeburg. Sein Vater, ein Obersteuerkontrolleur und Brennereidirektor, war gestorben, als Max ein Jahr alt war. Die Mutter stammt aus einfachen Verhältnissen. Zwar heiratet sie bald wieder, einen Dekorationsmaler aus Magdeburg. Aber 1848 verstirbt auch dieser. Max wird aus Kosten- und Erziehungsgründen in die Pieschelsche Anstalt gegeben.
1853 tritt Max Krause dann als Lehrling in eine Magdeburger Papierhandlung ein – der erste kleine Schritt zu späteren großen Erfolgen. In seinem Büchlein “Denkmal der Arbeit. Lebens-Ansichten, gewonnen in einem 60-jährigen Berufsleben” schreibt er 1912 darüber: “Kaufmann sollte und wollte ich werden. Wenn ich meine damaligen Verhältnisse heute überdenke, so erscheint mir die Wahl des Berufs als Kaufmann gewagt. Ich war arm und dadurch waren die Aussichten, in meinem Beruf besonderen Erfolg zu haben, gering.”
Nach der Lehre arbeitet Krause im Außendienst der Papierfabrik der Gebrüder Hoesch in Düren, eine der Keimzellen der späteren Hoesch AG. Im Auftrag der Firma reist er durch Europa.
Von Einzel- zu Massenware
Briefpapier geht damals noch einzeln über den Ladentisch, im Bogen gerollt. Auch Briefumschläge werden ohne Verpackung geliefert und verkauft. Krause hat eine Idee: Briefpapier und Briefumschläge gemeinsam auf den Markt zu bringen, und das in handlicher Verpackung. Diesen Einfall will er als selbstständiger Geschäftsmann umsetzen. Das Startkapital erlangt er nach eigener Darstellung durch mühsames Sparen. Ende 1864 sind 2.000 Taler beisammen. Ist das viel oder wenig? Nach ungefähren Berechnungen der Bundesbank entspricht es einer heutigen Kaufkraft von 69.000 Euro. Zum Vergleich: 1850 beträgt der Wochenlohn eines Webers 2 Taler, drei Silbergroschen. Fabrikanten in Großstädten haben ein Jahreseinkommen von 20.000 bis 40.000 Taler.
1865 eröffnet Krause sein eigenes Handelsgeschäft in Berlin. Drei Jahre später ergänzt er den Handel durch Fertigung: Neben Briefumschlägen und Briefpapier produziert er Post- und Tischkarten, Schachteln, Luxuspapiere mit Färbung und Wasserzeichen. Krauses Idee konfektionierten Papiers setzt sich auch international durch. Die Verpackung und Bündelung der bisherigen Einzelwaren kurbeln den Umsatz an. Krause erweitert die Produktion und wird 1877 Vorsitzender des Papierindustrie-Vereins. Fabriken betreibt er in Berlin, in Calbe (Saale) und in Schlesien.
In seinem Berliner Werk sind 1912 650 Leute beschäftigt. Nach zwanzigjähriger Tätigkeit im Unternehmen zahlt ihnen die betriebliche Alters- und Invalidenkasse im Alter von 65 Jahren 1.000 Mark aus – nach heutiger Kaufkraft laut Bundesbank 6.200 Euro.
Karlshorst und Steglitz
Auch außerhalb seiner Fabriken ist Max Krause Investor und Mäzen. So ist er einer der Gründer der Bauvereinigung Eigenhaus. Sie will billiges Wohnen ermöglichen und steht Pate für die spätere Villen- und Landhauskolonie Karlshorst. Die ersten Wohnungen werden 1894 durch eine Stiftung der kaiserlichen Familie finanziert und an bedürftige Familien vergeben, vor allem Eisenbahner aus Friedrichsfelde. Das Grundstück für die Errichtung des Stadtbads Steglitz überlässt Krause aus seinem Besitz der Gemeinde zu einem Vorzugspreis.
1913 stirbt Max Krause. Er hinterlässt seine Frau Johanna, sieben Söhne und vier Töchter. Und er hinterlässt ein prägendes Beispiel dafür, dass Unternehmertum und soziale Verantwortung einander nicht ausschließen.
Mit Gottvertrauen und Vaterlandsliebe
Seine Lebens-Ansichten widmet er “Allen mit mir in der Firma Max Krause Arbeitenden in Freundschaft und dankbaren Herzens”. Die Ratschläge des Büchleins bewegen sich zwischen Altersweisheit und dem Lob der “guten Geister ‘Gottvertrauen und Liebe zu ihm, Vaterlandsliebe, Kaisertreue und Ehrfurcht’”, garniert mit einem großen Klecks Deutschtümelei. Unzufriedenen wirft er vor, die innerhalb kurzer Zeit erreichten Fortschritte zu leugnen: “Deine Seele ist kleinlich und du musst dich ändern; denn wo dir eine Quelle von Zufriedenheit fließen könnte, schaffst du dir selbst Unzufriedenheit.” Das erinnert verblüffend an moderne Aufforderungen zur Selbstoptimierung.
Eine hohe Meinung hat Krause von der ehelichen Liebe: “Ein altes Lied sagt: ‘Liebe Seele, hab’ Geduld, wir haben alle beide Schuld’, ihm folge und lass den Tag nicht zu Ende gehen, ohne ein Missverständnis aufzuklären.” “Ganz meine Meinung”, hat jemand in Sütterlinschrift am Seitenrand des antiquarischen Buchs notiert.
Das M.-K.-Papier gibt es noch heute – auch wenn die Marke mittlerweile zum Schreibwarenhersteller Baier & Schneider aus Heilbronn gehört. Sein gediegenes Gewicht von 95 g/m² und das charmant unprätentiöse Wasserzeichen adeln es zum Kandidaten für die wichtigeren Schreiben. Wie wär’s mit einem Brief?
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