Simon Sahner und Daniel Stähr untersuchen, wie Sprache Realitäten und Machtstrukturen schafft: “Die Sprache des Kapitalismus”. Ihr Buch sucht nach einem Ausstieg und weist vage die Richtung.
Sprachbilder erleichtern das Verständnis komplexer Zusammenhänge. Der Literaturwissenschaftler Sahner und der Ökonom Stähr illustrieren an Beispielen, wie Metaphern unbeabsichtigt oder absichtsvoll in die Irre führen. Dafür nutzen sie zum Beispiel das in den Neunzigern und Anfang der 2000er Jahre in Medien gepflegte Bild von Deutschland als “dem kranken Mann Europas“, das auch aktuell angesichts der Folgen der Pandemie und des Kriegs in der Ukraine für Deutschland wieder modern scheint: “Ist Deutschland wieder einmal der kranke Mann Europas?“ zitieren sie die Wirtschaftszeitung The Economist vom August 2023. Und verweisen auf immer neue kranke Länder und auf die Gedanken, die ein solches Bild hervorruft – von der möglichen Ansteckungsgefahr bis zur dringend erforderlichen Heilung durch verlässliche Ärzte. Für Deutschland habe das zu einem beispiellosen Sozialabbau geführt, der Deutschland mit Hartz IV zu einem europäischen Niedriglohnland gemacht habe. Preisexplosion, Welfare Queen, Unterschicht, sind nur einige der Begriffe, hintern denen die Autoren Manipulation entdecken.
Sie analysieren die Finanzkrise von 2008 und den Film The Wolf of Wall Street. Nebenher streifen sie das Thema der Staatsverschuldung und verweisen darauf, dass die in der Finanzkrise umgesetzte Theorie, eine hohe Verschuldung verhindere Wachstum, womöglich einfach auf einer fehlerhaften Excel-Datenreihe beruht.
Sahner und Stähr wollen das System ändern – und rufen dafür zur Überwindung der Sprachstrukturen auf, die es stabilisieren. Sie wollen Sprache “dekonstruieren” und heben die “Aufklärungsarbeit von aktivistisch arbeitenden Schwarzen Menschen und People of Color” hervor, die immer wieder auf rassistische Erzählungen und Sprachbilder in der Alltagssprache aufmerksam machten. Folgerichtig gendern die Autoren im kompletten Buch. Wenn sie ihre Leser mit einem häufig präsenten Wir an die Hand zu nehmen trachten, hat das aber selbst etwas von onkelhaftem Welterklärertum.
Den Ausweg aus dem Kapitalismus sehen sie in einer Abkehr von zentralen Begriffen wie Wachstum als Synonym für Wohlstand und von zentralen Ängsten wie Deindustrialisierung. “Das Problem besteht in der Idee von einem guten Leben, die uns in der Sprache des Kapitalismus erzählt wird.“ Die Lösung in einer Bewusstseinsänderung durch eine “postkapitalistische Sprache und Erzählungen von einem guten Leben nach dem Kapitalismus“. Nicht zu verwechseln mit der Propaganda sozialistischer Staaten, wie Sahner und Stähr betonen.
Die Autoren beleuchten Mechanismen von Gehirnwäsche. Und sind für den guten Zweck auf der Suche nach einem eigenen, besseren Waschmittel.
Das Buch ist im Verlag S. Fischer erschienen, hat 304 Seiten und kostet 24 Euro. Der Verlags-Link führt auch zu einer Leserprobe und zu Veranstaltungsterminen mit den Autoren.
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