Bücherverbrennung, gleichgeschaltete Berufsverbände, Reichsschrifttumskammer und Zensur: Jan-Pieter Barbian untersucht in einem monumentalen Buch die “Literaturpolitik im NS-Staat. Von der ‘Gleichschaltung’ bis zum Ruin”.

Bild zeigt BuchcovrIm Anfang war das Wort? Deshalb gibt es so viele, die sich seiner bemächtigen. Die Auswirkungen in Nazideutschland hat Victor Klemperer in seiner LTI beschrieben: allgegenwärtige Sport- und Technikmetaphern, eine biologistische Sprache, die Menschen zu Parasiten erklärt, und die Umwidmung von Begriffen wie fanatisch lenken Menschen und befördern ihre Verrohung. Barbians Buch ergänzt und erweitert den Blickwinkel um die Mechanismen der Literaturproduktion in der Nazizeit. Der Autor ist Direktor der Stadtbibliothek Duisburg und ein auch durch viele andere Veröffentlichungen ausgewiesener Experte für das Thema.

Allein die Anmerkungen, das Quellenverzeichnis und das Register füllen gut 150 der 512 Seiten. Das exzellent recherchierte Buch lässt frösteln, wenn staatliche Repression des Geistes auf willige Vollstrecker und Profiteure trifft. Barbian zitiert Kurt Tucholskys Wort vom „rabiatisierten Mittelstand“ und verweist darauf, dass der Nationalsozialismus von weiten Kreisen des Bildungsbürgertums mitgetragen wurde. Auch die Reichsschrifttumskammer war nicht nur ein Zensurorgan, sondern auch eine von vielen Autoren begrüßte Vertretung von Berufsinteressen. Unter den 10.118 Schriftstellern, die 1942 in der Kammer registriert waren, hatten 400 ein Bruttoeinkommen über 6.000 Reichsmark, darunter Großverdiener wie Gerhart Hauptmann und Heinrich Spoerl („Die Feuerzangenbowle“) mit über 100.000 Reichsmark. Eine Reichsmark entspricht bei einigen historischen Unsicherheiten nach Angaben der Deutschen Bundesbank einer heutigen Kaufkraft von 4,60 Euro. Am unteren Ende der Skala verdienten 2.100 Autoren maximal 1.200 Reichsmark, rund 6.200 offenbar gar nichts. Sie konnten auf Unterstützung bei der Existenzsicherung durch die vom Propagandaministerium bezuschusste Deutsche Schillerstiftung hoffen.

Ein Kapitel des Buchs ist den Rivalitäten staatlicher Stellen untereinander und mit Parteigliederungen der NSDAP gewidmet. Staatliche Mittäter waren das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (mit der Reichsschrifttumskammer und der Reichskulturkammer als Unterbau), das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, das Auswärtige Amt mit seiner Kulturabteilung, die Gestapo und der SD mit einer wissenschaftlichen Zentralbibliothek, der Schrifttumsapparat der Wehrmacht mit selbst publizierten Büchern und Zeitschriften sowie den Heeresbüchereien. Auf Parteiseite hetzten und zensierten die Schrifttumsstellen des Amtes Rosenberg mit (Alfred Rosenberg war der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP), außerdem eine Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums, der zum Beispiel Schriften mit Zitaten aus Hitler-Reden zur Prüfung vorzulegen waren, und der Stab Stellvertreter des Führers (ab 1941 Partei-Kanzlei).

Ausschluss “rassisch” oder politisch missliebiger Autoren aus Verbänden und Kammern, Publikationsverbote, Grenzen und Spielräume von Schriftstellern und Verlagen: Jan-Pieter Barbian zeichnet das Bild einer Medien-Diktatur zur politischen Kontrolle aller “Kulturschaffenden” und nennt Opfer, Täter, Profiteure. Lesens- und nachdenkenswert.

Das Buch ist als aktualisierte und überarbeitete Neuauflage im Verlag S. Fischer erschienen, hat 512 Seiten und kostet 36,00 Euro. Der Link im vorigen Satz führt auch zu einer Leseprobe.

 

Einen Kommentar hinterlassen

Your email address will not be published.

You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>