Zum Jahreswechsel wird durchgezählt: 44 Biografien im Kleinformat. Gegossen in 10 Fragen. Antworten sind immer noch willkommen.
Die öffentliche Darstellung des Lebens in der DDR war lange Zeit ein Schwarz-weiß-Film. Oder eine Kassette mit der immer gleichen Melodie. Nicht weil Michael den Farbfilm vergessen hat oder niemand singen konnte. Sondern weil die Herabsetzung ostdeutscher Biografien das Einrücken neuer Eliten und Verhältnisse erleichtert hat. In dieser Hitparade des Grauens ist der Kneipen-Schläger, der dem Vopo eine aufs Maul gegeben hat, ein Held des Widerstands. Und der Brigadier, der nach Feierabend den Garten der Hausgemeinschaft geharkt hat, ein Knecht des Systems. Dazu musste sich der Westen einen Osten erfinden, wie es ihn so nicht gegeben hat. Darüber habe ich auch in der Berliner Zeitung geschrieben.
Mittlerweile sind in der Diskussion über die Vergangenheit der beiden Deutschländer so viele Stimmen präsent, dass sich der Schwarz-weiß-Film bunt einfärbt. Den Abgewickelten und umstandslos Aussortierten bringt das keine Arbeitsplätze zurück. Aber vielleicht den Hauch einer Genugtuung, dass eigene Leben wiederzuerkennen.
Stimme der DDR bietet seit 2011 einen Resonanzraum für die Vielfalt der Leben in der DDR: zwischen Mitgestaltung, Anpassung und Verweigerung, zwischen Neuerer-Vorschlag, Knast und VEB. Das Format der zehn Fragen sortiert die Erfahrungen. Heute habe ich durchgezählt: 44 Menschen haben sich bislang beteiligt. Minister, ein Ministerpräsident, Journalisten und viele Norbert und Nora Normalos. Zu wenige, um repräsentativ zu sein. Doch so viele, dass der Blick in Biografien und Sichtweisen mich vor Spannung hat stocken lassen. Die Super-Illu hat die Aktion 2020 aufgegriffen und daraus einen eigenen Fragebogen entwickelt. Es waren Tropfen, aber sie haben den Stein mit ausgehöhlt. Danke dafür an alle, die sich bisher beteiligt haben und sich noch beteiligen werden. Ihre Erinnerungen sind jederzeit willkommen.
Und jetzt greife ich mit halb geschlossenen Augen ins Schatzkästlein der Antworten und packe sie ins Kaleidoskop. Das Lebensalter bezieht sich auf den Zeitpunkt der Antwort.
1. Welche Begriffe verbinden Sie spontan mit der DDR?
Stasi, Broiler, Konsum, Schlagersüßtafel, Aktuelle Kamera, Schwarzer Kanal (gruselig), NVA, Trabi (B. S., Mann, 55, Kaufmännischer Angestellter, Münster)
2. Woran erinnern Sie sich besonders gern?
An zwei von drei Russischolympiaden, bei denen ich Angela Kasner auf den zweiten Platz verwies. Beim dritten Mal war sie dann besser als ich. Ärger. Vergessen. (E.H.H., Frau, 66, Übersetzerin, Europa)
3. Woran denken Sie ungern zurück?
Jungpioniere, Thälmannpioniere, FDJ, Fahnenappelle, vormilitärische Ausbildung, ZV-Unterricht, Staatsbürgerkundeunterricht, Ausweiskontrollen (OL, 51, Cartoonist, Berlin)
4. Wie verlief Ihr Berufsweg?
Ausbildung, Arbeit, Studium, Mutterschaft – Wende: arbeitslos, Studienabschluss nicht anerkannt (Außenhandelsökonom). S. K.-F., Frau, 54, Sekretärin, Berlin-Hellersdorf
5. Was haben Sie in der Freizeit getan?
Transparente geschwenkt, Patenschaften übernommen, dem Chef die Meinung gegeigt, geheiratet, mich scheiden lassen, gelebt. (Gerlind, 58, Leipzig, arbeitslose Ingenieurökonomin)
6. Wen aus der DDR verehren Sie besonders und wofür?
Meinen Kollegen Herbert, der als SED-Mitglied sich lieber aus der Partei ausschließen ließ, als gegen seine Überzeugung zu handeln.(Ernst, 61, Halle/Saale, Technischer Zeichner)
7. Was hat Ihre DDR-Vita besonders geprägt?
Und immer und überall ein bisschen Absurdität dabei. Auf die Bäume, ihr Affen, der Wald wird gefegt. (Steffen, 51, Dresden, Ingenieur)
8. War das Verhältnis von Männern und Frauen zueinander anders als heute?
Wenn ich heute zum Nacktschwimmen oder in die Gemischt-Sauna gehe, meine ich auf Anhieb herausfinden zu können, welcher Mann aus dem Osten und welcher aus dem Westen ist. Der aus dem Westen glotzt mich an, als ob es da was umsonst gibt, der aus dem Osten sieht mich einfach als Frau an. Ausnahmen mögen die Regel bestätigen! Ich fand das Verhältnis zwischen Mann und Frau rein und unbeschwert, völlig natürlich. Wenn wir miteinander sprachen und lachten, dann gab es keine Hintergedanken. (Will die mich etwa, weil ich mehr Geld habe? Was für`n Quatsch.) Heute hat unbeschwerter Verkehr oft den Touch des Unmoralischen. Das stört mich. (Heike, 44, Berlin, Lehrerin)
9. Welche Meinung hatten Sie 1990 zur Wiedervereinigung?
Ich war euphorisch. An der Wessi-Ossi-Diskussion habe ich mich nie beteiligt, die fand ich von Anfang an künstlich erzeugt. (Z.B. wenn von vielen aus dem Westteil die friedliche Revolution auf eine Banane heruntergeredet wurde, was mich etwas verwunderte.) Für mich gab es von Anfang an “die Deutschen”. Nur der Mensch zählt für mich, egal, wo er herkommt. Und ganz Deutschland zu bereisen und sehen, wie groß es ist, schenkt mir immer wieder ein schönes Gefühl. (Conny, 45, Berlin-Kaulsdorf, Beamtin)
10. Welche Meinung haben Sie heute zum vereinten Deutschland?
Zwang gibt es auch heute, wo jeder die Meinung sagen darf. So karrieregeil wie manche “Führungskräfte” heute sind, wären die früher mit Sicherheit die ersten gewesen, die bei der Stasi “hier” gerufen haben. Wer noch im Berufsleben steht und Karriere machen will, hält auch heute manchmal besser die Klappe, selbst wenn er weiß, dass etwas nicht funkionieren wird. Die Menschen sind, wie sie sind. (Volker, 50, Potsdam, Unternehmer)
Und falls Sie noch Ihren Lieblings-Ostwitz loswerden wollen: nur zu.
Der Lehrer fragt Fritzchen: „Was ist das: Es ist klein, rothaarig und hat einen langen Schwanz?“ – „Wenn mich das mein Vater gefragt hätte, dann würde ich sagen, das ist ein Eichhörnchen. Aber wenn Sie mich das fragen, dann wird es bestimmt wieder Lenin sein.“ (Regine Sylvester, Berlin, Journalistin und Autorin)
Spannend? Dann stöbern Sie doch weiter. Und ich klopfe mir zum Jahresausgang leise auf die Schulter, weil wir kleine Beiträge zu einer großen Diskussion leisten. Ich klopfe mit links: Rechts zieht’s ein bisschen.
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