Foto Max KrauseDas deutsche Kaiserreich ein Hort der Junker, des Stumpfsinns und zusammengeschlagener Hacken? Sicherlich. Aber genauso ein Ort von Erfindergeist und sozialer Verantwortung. Ein Beispiel dafür ist das Leben Max Krauses. Als Unternehmer vermarktet er als Erster Briefpapier und Briefumschläge und steigt damit zum Papierindustriellen auf. Und für die Arbeiter seiner Fabrik führt er in Ergänzung der Sozialgesetzgebung eigene Hilfskassen ein.

“Schreibste mir, schreibste ihr, schreibste auf MK-Papier.” Der Werbeslogan stammt von 1924, als der Namensgeber des Papiers Max Krause bereits mehr als zehn Jahre tot ist. Das Papier gibt es bis heute, auch wenn die Markenrechte gewechselt haben. Ich mag das Papier und nutze es für Briefe der wichtigeren Art. Es liegt mit seinem Gewicht von 95 g/m² angenehm schwer in der Hand. Und das unprätentiöse Wasserzeichen stimmt mit meinen Initialen überein.

Ich werde neugierig. Und stoße auf Überraschendes: auf eine Karriere im Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Stil, die allgemein eher mit Amerika verbunden wird. Und auf einen sozial Engagierten, der für die Beschäftigten seiner Fabriken eine Pensionskasse einrichtet, eine Alters- und Invalidenkasse, eine Sterbekasse, eine Krankenkasse, eine Lohnfortzahlung für gesetzliche Feiertage, eine Stiftung, um Kinder in die Sommerferien zu senden, eine Fabrikküche, eine Bücherei, eine Gewinnbeteiligung …

Aus Treuenbrietzen über Magdeburg durch Europa
Max Krause wird 1838 in Treuenbrietzen geboren, einem Städtchen im Fläming (“Sabinchen war ein Frauenzimmer”). Der Vater Wilhelm, ein Obersteuerkontrolleur und Brennereidirektor, stirbt, als Max ein Jahr alt ist. Seine Mutter Henriette kommt aus einfachen Verhältnissen: Ihr Vater war Hausgenosse und später Handarbeiter. Hausgenosse ist eine alte Bezeichnung für einen Einwohner ohne eigene Behausung und mit weniger Rechten, der zum Beispiel als Knecht oder Geselle bei seinem Meister wohnt. Henriette heiratet wieder. Aber auch der so gewonnene Stiefvater, ein Dekorationsmaler in Magdeburg, verstirbt bald (1848).

Max wird im Pieschelschen Waisenhaus in Burg bei Magdeburg untergebracht. 1853 tritt er dann als Lehrling in eine Magdeburger Papierhandlung ein. In seinem Büchlein “Denkmal der Arbeit. Lebens-Ansichten, gewonnen in einem 60-jährigen Berufsleben” schreibt er 1912 darüber: “Kaufmann sollte und wollte ich werden. Wenn ich meine damaligen Verhältnisse heute überdenke, so erscheint mir die Wahl des Berufs als Kaufmann gewagt. Ich war arm und dadurch waren die Aussichten, in meinem Beruf besonderen Erfolg zu haben, gering.” Nach der Lehre geht er in den Außendienst einer Papierfabrik der Gebrüder Hoesch in Düren, eine der Keimzellen der späteren Hoesch AG. Im Auftrag der Firma reist er durch Europa.

Von Einzel- zur Massenware
Briefpapier geht damals noch in einzelne Bögen gerollt über den Ladentisch. Auch Briefumschläge werden ohne Verpackung geliefert und verkauft. Krause entwickelt die Idee, Briefpapier und -umschläge in handlicher Verpackung auf den Markt zu bringen. Diesen Einfall will er als selbstständiger Geschäftsmann umsetzen. Dafür benötigt er Startkapital. Nach eigener Darstellung erlangt er es durch mühsames Sparen. Ende 1864 sind 2.000 Taler beisammen. Nach Berechnungen der Bundesbank entspricht das einer heutigen Kaufkraft von gut 59.000 Euro. Ein weiterer Vergleich: 1850 beträgt der Wochenlohn eines Webers 2 Taler, drei Silbergroschen. Das Jahreseinkommen von Fabrikanten in Großstädten beträgt 20.000 bis 40.000 Taler.

1865 eröffnet Krause ein eigenes Handelsgeschäft in Berlin und wird damit zum Gründer einer ganzen Branche – der Papierausstattung. Drei Jahre später geht er vom Handel zur Produktion über: Neben Briefumschlägen und -papier auch Post- und Tischkarten, Schachteln, Luxuspapiere mit Färbung und Wasserzeichen. Krauses Ideen konfektionierten Papiers setzen sich auch international durch. Verpackung wird als verkaufsfördernd erkannt. Krause erweitert seine Produktion und wird 1877 Vorsitzender des Papierindustrie-Vereins.

Im Berliner Werk sind 1912 650 Arbeiter beschäftigt. Sie profitieren zum Beispiel von einer betrieblichen Alters- und Invalidenkasse, die ihnen Auflistung der Hilfskassen der Fabrikbei 20-jähriger Tätigkeit im Unternehmen im Alter von 65 Jahren 1.000 Mark auszahlt – nach heutiger Kaufkraft sind das 5.300 Euro.

Landhauskolonie und Stadtbad

Max Krause ist auch außerhalb seiner Fabriken Investor und Mäzen. So ist er einer der Gründer der Bauvereinigung Eigenhaus. Sie will billiges Wohnen ermöglichen und steht Pate für die spätere Villen- und Landhauskolonie Karlshorst. Die ersten Wohnungen werden 1894 durch eine Stiftung der kaiserlichen Familie finanziert und an bedürftige Familien vergeben, vor allem Eisenbahnbedienstete aus Friedrichsfelde. Das Grundstück für die Errichtung des Stadtbads Steglitz überlässt Krause der Gemeinde zu einem Vorzugspreis.

1913 stirbt Max Krause. Er hinterlässt seine Frau Johanna, sieben Söhne und vier Töchter. Ein weiterer Sohn ist bereits vor ihm verstorben.

Üb immer Treu und Redlichkeit
Bild zeigt BuchcoverÜber die Motive seines sozialen und philantropischen Engagements lässt sich nur spekulieren. Sicherlich will er anderen helfen, gleich ihm durch Sparen und Fleiß ihr gutes Auskommen zu finden. Seine Lebens-Ansichten widmet er “Allen mit mir in der Firma Max Krause Arbeitenden in Freundschaft und dankbaren Herzens”.

Die Ratschläge bewegen sich zwischen Altersweisheit und zeitüblichem Lob der “guten Geister ‘Gottvertrauen und Liebe zu ihm, Vaterlandsliebe, Kaisertreue und Ehrfurcht’”, garniert mit Deutschtümelei. Unzufriedenen mit dem Stand der Dinge im Kaiserreich wirft er vor,  die in kurzer Zeit erreichten Fortschritte zu leugnen: “Deine Seele ist kleinlich und du musst dich ändern; denn wo dir eine Quelle von Zufriedenheit fließen könnte, schaffst du dir selbst Unzufriedenheit.” Das erinnert frappierend an heute übliche Aufforderungen zur Selbstoptimierung.

Eine hohe Meinung hat Krause von der ehelichen Liebe: „Ein altes Lied sagt: Liebe Seele, hab’ Geduld, wir haben alle beide Schuld“, ihm folge und lass den Tag nicht zu Ende gehen, ohne ein Missverständnis aufzuklären.“

Ein Ratschlag mit Gültigkeit. “ganz meine Meinung” hat in meinem Exemplar des Büchleins jemand mit Bleistift in Sütterlin am Rande notiert.

Mehr über diese Zeit:
Hedwig Richter: Warum sich eine Beschäftigung mit der Reichsgründung heute lohnt
Das Deutsche Historische Museum über die Sozialgesetzgebung der Kaiserzeit

 

2 Responses to Ein Denkmal der Arbeit

  1. Ingeborg sagt:

    Über den Gedanken an die Paechbrot-Werbung in der Berliner U-Bahn der 1960er Jahre fiel mir der Spruch zu MK-Papier ein. Ich freue mich, dazu einen – und auch noch so neuen – Beitrag zu finden, der mir die Geschicht dieses Papieres nahebringt.
    Vielen Dank

  2. Mario Kluge sagt:

    Vielen Dank für Ihren freundlichen Kommentar und die geteilte Erinnerung. Über Paech-Brot gab es auch diverse Reime. Im Osten war man beim Brot ja weniger markenbewusst, da ging es eher um Kaufhallen- oder Bäckerbrötchen. Bei Moskauer Bäckereien (die dort булочная hießen, bultoschnaja) erinnere ich mich an die Aufschrift: “Brot – unser Reichtum”.