Bild zeigt BuchcoverNach 30 Jahren öffnen sich die Dokumente der Treuhandanstalt in den Archiven. Die Quellen sprudeln nicht, aber sie sind zugänglich. Der Historiker Andreas Malycha räumt das Geröll weg und siebt den Kies: “Vom Hoffnungsträger zum Prügelknaben: Die Treuhandanstalt zwischen wirtschaftlichen Erwartungen und politischen Zwängen 1989-1994″.

Ja, da steht es, auf Seite 422, das N-Wort: “Mit diesen Negern könne man nicht arbeiten”, zitiert Treuhand-Vorstand Klaus Schucht den Treuhand-Vizepräsidenten Hero Brahms. Brahms meint damit die ostdeutschen Mitarbeiter der Anstalt, und er meint es nicht als Beitrag zur Völkerverständigung. Schucht will etwas sagen, beißt sich dann aber doch auf die Zunge, um des lieben Friedens willen (“Es ist schade, dass dieser tüchtige Mann ab [und] zu verbal so entgleist“). Treuhand-Chefin Breuel bittet nachsichtig, den Ausdruck nicht mehr zu benutzen.

Warum beschäftige ich mich überhaupt noch mit solchem Schreiß? Mir kommt Heine in den Sinn: “Verlorner Posten in dem Freiheitskriege, / Hielt ich seit dreißig Jahren treulich aus.” Also dann: Ein weiteres Buch, das versucht, dem Chaos der Nachwendezeit ein Licht aufzustecken. Und um die Schwierigkeiten der Beleuchtung weiß. Es gelte, Treuhand-Entscheidungen zu kontextualisieren und mit anderen Entscheidungen abzugleichen, schreiben die Herausgeber Dierk Hoffmann, Hermann Wentker und Andreas Wirsching im Vorwort. “Die in Teilen der Öffentlichkeit verbreitete Annahme, die Wahrheit komme nun endlich ans Licht, führt daher in die Irre und würde ansonsten nur weitere Enttäuschungen produzieren. Es gibt eben nicht die historische Wahrheit.”

Privatisierung geht vor
Malycha beginnt mit einem Blick auf  den Forschungsstand. Dafür zitiert er Arbeiten von Wissenschaftlern wie Marcus Böick, Philipp Ther und Yana Milev, das Plädoyer der Politikerin Petra Köpping für Aufarbeitungs- und Wahrheitskommissionen auf lokaler Ebene. Unter Bezug auf Forschungen zu den Defiziten der Zentralverwaltungswirtschaft bedauert er ein Schwarz-Weiß-Raster, das den wirtschaftlichen Niedergang Ostdeutschlands allein den Entscheidungen der Treuhandanstalt (THA) und nicht der Wirtschaftspolitik der SED anlastet.

Malycha resümiert dann penibel die Geschichte der Treuhand – von der Idee am Runden Tisch mit dem Ziel des Erhalts des Volkseigentums in einer fortbestehenden DDR über die Gründung durch Beschluss der Regierung Modrow am 1. März 1990 bis zu ihrem Ende 1994. Er betrachtet den Wandel der Struktur und korrigiert die Auffassung, der  Aufbau sei bereits in der Ära Rohwedder abgeschlossen worden. Malycha untersucht die Arbeitsweise der Anstalt in der Sphäre von Politik und Wirtschaft – im  Spannungsfeld mit dem Finanz- und Wirtschaftsministerium oder mit dem Parlament und dessen Haushaltsausschuss, mit der Integration der ostdeutschen Wirtschaft in den Europa- und Weltmarkt.

Der Wissenschaftler belegt, dass es keine grundlegenden Unterschiede in der Auffassung von Rohwedder und dessen Nachfolgerin Breuel gab: Privatisierung geht vor Sanierung. Um Sanierungskosten zu vermeiden und schnelle Erlöse zu erzielen, hat die THA vor allem zu Beginn Schnellschuss-Privatisierungen favorisiert. Ebenso wie das organisatorische Chaos in der THA haben sie oft zu Fehlentscheidungen geführt. Zum Beispiel bei der Privatisierung der Interhotel-Kette an die Hotel Steigenberger AG durch zwei nicht dazu befugte Treuhandmitarbeiter mit anschließender Neuvergabe samt Gerichtsstreit. Als Beleg für gelungene Absichten streift Malycha die Privatisierungsgeschichte der Rüdersdorfer Zement GmbH, größter Zementproduzent der DDR. Deren Privatisierung erfolgte im August 1990 nicht an westdeutsche Anbieter, sondern “unter Berücksichtigung der Marktstruktur” an die britische Readymix AG.

Zahlen, Daten, Verschwörungstheorien
Das akribisch recherchierte Buch listet eine Fülle von Fakten auf. Zum Beispiel die, dass bis Mitte Juli 1990 8 000 Unternehmen der Treuhand zugeordnet waren. Dass die Entflechtung von Betrieben aus Kombinaten organisch gewachsene zusammenhängende Betriebe trennte. Dass die Treuhand bis September 1994 für 3 661 Unternehmen mit 333 247 Beschäftigen ein Abwicklungsverfahren eingeleitet hat. Interessant sind auch die Personalzahlen der THA: Aus 1 155 Mitarbeitern im Dezember 1990 wurden bis Januar 1992 3 753. Die meisten waren Ostdeutsche, etwa 71 Prozent (1992). Zu finden waren sie vor allem auf untergeordneten Ebenen: Referenten, Sachbearbeiter, Verwaltungspersonal. Sie kamen aus aufgelösten Industrieministerien, Betrieben, der Staatlichen Plankommission, örtlichen Wirtschaftsverwaltungen.

Alte SED-Seilschaften also? Dieser damalige Generalvorwurf an die Treuhand wie an umstrukturierte DDR-Betriebe lässt sich auf Grundlage der Akten nicht klären, war oftmals aber wohl eher von Medien beförderte Hysterie oder der Versuch einer Beeinflussung von Entscheidungen durch Denunziation. Die höheren Ebenen der Abteilungsleiter und Branchendirektoren waren vorwiegend westdeutsche Industriemanager diesseits und jenseits der Pensionsgrenzen, im geringeren Umfang kamen sie aus dem öffentlichen Dienst. Im achtköpfigen Treuhandvorstand gab es nur bis 1992 auch zwei Ostdeutsche: Gunter Halm und Wolfram Krause.

Und wie viel gab’s dabei zu verdienen? Bei Referenten lag das Jahresgehalt inklusive Vergünstigungen 1991 bei 182 000 DM. Abteilungsleiter erhielten im Mittel 242 000 DM, Direktoren 390 000. Was die Käufer verdient haben, steht in anderen Blättern.

Weder Fisch noch Fleisch
Die THA war als Bundesanstalt öffentlichen Rechts weder ein Unternehmen noch eine klassische Behörde. Malycha zeichnet das Bild einer Anstalt zwischen Markt und Politik, die versucht hat, planwirtschaftliche Betriebe in eine soziale Marktwirtschaft zu integrieren. Dabei arbeitete sie  chaotisch, ineffizient, geprägt von dysfunktionaler Redundanz einzelner Direktorate: „Eine Sonderprüfung ausgewählter Privatisierungen durch die von Breuel beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Treuarbeit AG hatte bei fast 90 Prozent der untersuchten Veräußerungen zu Beanstandungen geführt.“

Zur im Buch geforderten Kontextualisierung gehört aus meiner Sicht auch, dass das beklagte Schwarz-Weiß-Denken die Dunkelheit lange Zeit nur auf einer Seite verortete: Begriffe wie Pleitewirtschaft, Unrechtsstaat, Stasi, SED-Seilschaften, Freie Wahlen wurden zu einem Mantra. Dass diese einseitige Sichtweise seit einigen Jahren aufgebrochen wird, ist auch der Penetranz zum Beispiel einer Yana Milev zu danken, die abseits des bundesdeutschen Universitätsgeschehens für ihre Forschung Förderung in der Schweiz gefunden hatte. Die vorrangig westdeutsch geprägte Sicht von Forschern und Medien hat dazu geführt, dass Ostler sich oft herablassend bis herabwürdigend beschrieben fanden, ähnlich wie eine indigene Bevölkerung durch wohlmeinende Konquistadoren: als Volk von Duckmäusern, Denunzianten, wirtschaftlich rückständig, ein bisschen dumm, ein bisschen faul. Als Leute, die sich schon deshalb nicht zu beschweren brauchen, weil sie mit ihren Wahlentscheidungen für deren Ergebnis verantwortlich sind. Sogar dieses Selbst-schuld-Argument ist nur scheinbar richtig. Christian Müller-Kademann (Swiss Economic Institute) beschreibt in einem Essay, wie der Osten des Landes nur die Hülle westdeutscher Institutionen übernahm, und erklärt das damit verbundene Vertretungsdefizit.

Das Werk Malychas kann diese Kontextualisierung natürlich nur ansatzweise leisten: Es listet unaufgeregt und bescheiden Fakten auf und bietet Erklärungen zu deren Einordnung. Dabei überhebt sich Malycha nicht, sondern regt eine weitere wissenschaftliche und multiperspektivische Betrachtung der Treuhand wie der Wirtschaftstransfomation an.

Das sorgfältige, lesenswerte Buch bringt so viel Licht ins Dunkel wie möglich. Was an der Treuhand ehrliche gute Absicht war, wo gute Absichten nur vorgetäuscht wurden zwischen Überforderung und Lobbyismus, das können womöglich tatsächlich nur örtliche Wahrheitskommissionen näher umreißen.

Zuckererbsen für jedermann, sobald die Schoten platzen? Oder doch nur das Eiapopeia vom Himmel, womit man einlullt, wenn es greint, das Volk, den großen Lümmel? Auch das. So wahr mir Gott helfe. Aber ansonsten eher Grillparzer: Der Minister des Äußern / kann sich nicht äußern; der Minister des Innern / ist schwach im Erinnern, / der Kriegsminister / trägt Szepter und Kron´ im Tornister, / der Minister der Finanzen / muß nach jedes Pfeife tanzen …

Das Buch ist im Ch.-Links-Verlag  erschienen, hat  752 Seiten und kostet 48 Euro als gedrucktes Buch und 29,99 als E-Book.

Dazu passt thematisch:
Interview mit Marcus Böick
Verweigerung einer Untersuchung (Gastbeitrag Yana Milevs)
Integriert doch erst mal uns (Rezension)
Foto-Besuch beim Deutschen Michel (Youtube-Link)

 

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