Grafik Friedenstaube

Die Landtagswahl in Thüringen könnte der Auftakt sein: zur Versöhnung.  Denn Deutschland ist auf unsinnige Weise gespalten. Hier eine Beschreibung der Situation. Achtung: Es wird ein längerer Text.

Aber da Sie hierhergefunden haben, sind Sie womöglich ehemaliger Teilzeitmarxist. Und als solcher mit längeren Texten vertraut.  Los geht’s.

Die Spaltung Ost/West

Da gibt es die Ostdeutschen und die Westdeutschen. 57 Prozent der Ostdeutschen fühlen sich zweitklassig. 38 Prozent halten die Einheit für misslungen. Acht von zehn Führungspositionen in Neufünfland sind von Westdeutschen besetzt. Warum das so ist, hat zum Beispiel Jürgen Angelow erforscht.

Wobei: DIE Ostdeutschen gibt es gar nicht. Sie sind sich untereinander spinnefeind. Wäre es 30 Jahre nach dem Mauerfall nicht an der Zeit anzuerkennen, dass auch viele SED-Mitglieder Anteil am Gelingen der unblutigen Revolution hatten? Zu Hunderttausenden haben sie mitgetan beim Auslüften der Regierung. Natürlich gab es zur Genüge Verblendete und sture alte Knochen. Aber in den Ministerien, Verwaltungen, Universitäten, Betrieben und Kombinaten der DDR saßen auch honorige, reflektierte Fachleute. Plötzlich galt aber jeder Brigadier, der nach Feierabend noch den Garten der Hausgemeinschaft geharkt hat, als Knecht des Unrechtsstaats. Während jeder Schläger, der dem Vopo (oder dem Ausländer oder egal wem) aufs Maul gehauen hatte, sich als Held des antikommunistischen Widerstands fühlen durfe.

Zu Recht wütende Dissidenten, wütige Kleingeister, die den entmachteten alten Männern in Wandlitz endlich gefahrlos auf die Kissen spucken konnten, eine Ost-SPD, die zwar von Pfarrern und Theologen gegründet worden war, es aber mit Versöhnung nicht so hatte, Blockparteien, die ihren Anteil an der DDR vergessen wollten, Kleinparteien ohne Einfluss. Dazu dann westdeutsche Wahlkampf-Profis, nachrückende Karriere-Beamte und Unternehmer mit einem Faible für Absatz und nicht für Konkurrenz – diese Melange hat Langzeitwirkung. Politisch, psychologisch, wirtschaftlich. Kaum jemand im Osten hatte Vermögen angehäuft – wozu auch? Wie auch? Freiheit wird aber nicht nur durch Wahlen erlangt. Sondern auch durch Eigentum.

Die Spaltung entlang des Vermögens
Da gibt es in Deutschland mehr Ungleichheit als anderenorts. Eine Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zeigt, dass die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung 56 Prozent des Vermögens besitzen. Mit Vermögen sind Ersparnisse gemeint, Wertpapiere, Immobilienbesitz, Betriebsvermögen, Sachvermögen – das ist zum Beispiel Gold oder wertvolle Kunst. Die ärmsten 50 Prozent haben zusammen gerade einmal gut 1 Prozent des Vermögens. Die Vermögensungleichheit sei auch im internationalen Vergleich hoch, habe sich aber in den letzten 10 Jahren nicht verschlechtert. Vermögen in Westdeutschland sind im Schnitt doppelt so hoch wie in Ostdeutschland.

Und die Einkommen, also das, was monatlich in die Kasse kommt? Der Verteilungsbericht 2019 des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Böckler-Stiftung belegt: Seit 2010 steigt die Einkommensungleichheit stetig an. Im Osten dabei noch stärker als im Westen des Landes. Während Spitzenverdiener zusätzlich von Kapital- oder Betriebseinkünften profitieren, frisst die Inflation Einkommenszuwächse der ärmsten Haushalte.

Die Spaltung entlang der Wertevorstellungen
Da gibt es die “Offenen“ und die “Wütenden“. Sie streiten miteinander auf allen Kanälen. Ein Teil der “Wütenden” verliert dabei jeglichen Anstand. Und manche “Offenen” agieren selbst s0 wütend, dass der Begriff kaum noch passt. Beide Gruppen polarisieren und vertreten zusammengenommen nur eine Minderheit der Bevölkerung. Das lässt sich gut sehen, wenn die AfD oder Pegida zur Demonstration rufen und eine meist als “breites Bündnis” berichtete Gruppe zur Gegendemonstration trommelt. Die meisten Einwohner der jeweiligen Stadt umfahren beide Veranstaltungen im weiten Bogen. Womit der Text den nächsten Konfliktherd erreicht:

Die oberflächliche Berichterstattung mancher Medien
Es gibt von Medien getragene Initiativen, wie Deutschland spricht, die Leute mit unterschiedlichen Standpunkten zusammenbringen. 2018 gab es dafür den Grimme-Preis. Aber ebenso gibt es Journalisten, die durch unreflektierte Parteinahme zur Polarisierung beitragen – mit meinungsgeprägten Berichten, tendenziösen Überschriften und aggressiven Statements in Social Media. In solchen Texten blöken die Demonstranten der “bösen” Seite Parolen. Während Versuche “guter” Demonstranen, die andere Seite zu attackieren, beschwiegen werden. In Berichten der westdeutsch geprägten Medien war Ostdeutschland außerdem lange Zeit nur eine Problemzone. Man ist ab und zu hingefahren und hat über die putzigen Einheimischen berichtet. Die mit den Windjacken, den falschen Socken und den falschen Meinungen. Teil des Problems ist, dass als ostdeutsch bemerkbare Journalisten etablierter Medien wie der Zeit oft eher linke Positionen vertreten und damit nur einen Teil des Meinungsspektrums. Und auch weiterhin gilt: Probleme in Ostdeutschland sind ostdeutsche Probleme. Probleme in Westdeutschland deutsche.

Soweit die Bestandsaufnahme. Und die Lösung?

Die beginnt vielleicht in Thüringen. Das Ergebnis der Landtagswahl bietet die Chance, die Muster der gegenseitigen Anschuldigungen zu verlassen. Der linke Ministerpräsident Ramelow kommt aus dem Westen. Als altgedienter Gewerkschafter ist er ohnehin ein Mann der Kompromisse. Dass die CDU darauf beharrt, nicht mit dem linken Rand zusammenzuarbeiten, ist ein Pawlowscher Reflex, der den Geifer nicht lohnt. Die Linke im Osten hat sich längst sozialdemokratisiert. Eine Zusammenarbeit zwischen Christdemokraten und Ramelow-Linken wäre eine Geste der Versöhnung und ein Zeichen gegen Polarisierung. Die CDU wird sie nicht wagen: Nicht mal so sehr aus Angst vor den besonders Schwarzen unter ihren Mitgliedern und deren Tiraden gegen die  Partei der Mauermörder. Eher wegen der Befürchtung, dass ihr das Schicksal der SPD in der großen Koalition blüht. Bleibt als Option für Thüringen eine Minderheitsregierung der bisherigen Koalitionäre oder nur der Linken. Sie könnte sich für ihre Vorhaben wechselnde Mehrheiten suchen. Das ist mühsam. Es erfordert Gespräche. Aber auch die wirken einer Polarisierung entgegen. Und selbst Abgeordnete der Opposition könnten sich einbringen und Erfolge erzielen.

Weniger Wut, mehr Sacharbeit. Nur das mit der wachsenden Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen, das könnte dauern. Und wenn ich jetzt auch noch über Einwanderung, Gleichberechtigung und Facebook schriebe, ja dann würde der Text wirklich zu lang.

 

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