Bild zeigt Menschen in Schutzanzug mit Toilettenpapier unter dem ArmDie Situation der EU erinnert an den Umbruch nach der Wiedervereinigung. Europa stehen Turbulenzen bevor. Corona könnte mittelfristig sogar den Euro kippen. Und die EU in ihrer jetzigen Form.

Alles fing an mit einer Laienspielschar.  Zwar waren in der DDR-Regierung nach den Wahlen von 1990 tatsächlich keine Polit-Profis am Werk. Aber die abschätzige Bemerkung des bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl ist bezeichnend für den Umgang der West-Entscheider  mit der DDR-Regierung. Und mit den Interessen der Bevölkerung in Neufünfland gleich mit. Wenig später war dann das Volksvermögen privatisiert. Zu 85 Prozent ging es in westdeutsche und zu 10 Prozent in ausländische Hände. Von den 4,1 Millionen Arbeitsplätzen unter Treuhand-Verwaltung überlebte nur ein Drittel.

Viele DDR-Betriebe verkrafteten die 1:1-Umstellung auf die D-Mark nicht. DKK/Foron: eben noch ein vom westdeutschen Versandhandel geschätzter Kühlschrankproduzent mit guter Gewinn-Marge. Dann pleite, weil mit der Währungsumstellung die Produktion unrentabel wurde. Statt wie bisher pro an Quelle verkauftem Kühlschrank 58 DM zu verdienen, machte DKK nun bei jedem Exemplar 220 DM Verlust. Als das Unternehmen sich mit dem weltweit ersten vom Schadstoff FCKW freien Kühlschrank zu berappeln schien, schloss sich die Westkonkurrenz zu einer Schmutzkampagne zusammen und warnte Händler vor der neuen Technologie.

Eingedellte Wirtschaft
Aufgekaufte Konkurrenz, ausbleibender Absatz, wegbrechende Märkte – was DDR-Betrieben passiert ist, steht vielen Unternehmen Europas als Resultat der Lockdown-Maßnahmen gegen Corona noch bevor. Für Deutschland rechnet die Bundesregierung in diesem Jahr mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 6,7 Prozent. Das BIP ist der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die eine Volkswirtschaft produziert.

Das BIP sinkt, die Arbeitslosigkeit steigt. Es wird also auch weniger konsumiert werden. Wie realistisch die Schätzungen sind, kann niemand sagen. Zum Beispiel, weil niemand weiß, ob es eine weitere Corona-Welle geben wird.  Klar scheint nur: Die wirtschaftliche Delle wird beträchtlich sein.

Und wie es bei der BRDigung der DDR-Ökonomie war, wird auch das Siechtum der Wirtschaft durch Corona barmherzige Samariter finden, eigennützige Krankenhelfer sowie Leichenfledderer. Gerade hat der Merkur berichtet, dass ein vom chinesischen Staat kontrollierter Leasingkonzern Großaktionär der angeschlagenen Billigfluglinie Norwegian Air Shuttle wird.

Und nein, Corona wurde nicht von China in die Welt gelassen, um diese zu übernehmen. Auch dies ist eine Lehre der Nachwendezeit: Eine hysterische öffentliche Suche nach Schuldigen führt oft in Sackgassen. Und während interessierte Kreise dort empört mit  Stasi-Akten wedeln, reißt sich derweil nebenan auf der Schlossallee jemand unbemerkt fürn Appel und’n Ei die besten Villen unter den Nagel.

Überhaupt China: Während italienische Krankenhäuser unter Corona kollabierten, kam Erste Hilfe nicht etwa aus Deutschland. Es waren China, Russland und Kuba, die Technik und Ärzte schickten. Das Investigativ-Team der Tagesschau fand heraus, dass Russland damit womöglich eigene Zwecke verfolgt. So was gibt’s in keinem Russenfilm.

Wie weit geht die Solidarität
Corona wird für die EU zur Nagelprobe. Wer wird die Sonntagsreden über Europa noch glauben, wenn die Länder einander in so einer existenziellen Krise wie der jetzigen nicht solidarisch beispringen mit Mann und Maus und Moneten? Was dann Euro-Bonds bedeuten würde – das sind Schulden, für die EU-Europa gemeinschaftlich haftet.

Bisher sind höher verschuldete Länder, wie Italien und Frankreich, eher dafür, geringer verschuldete wie Deutschland oder Österreich eher dagegen. Zu Recht: Gemeinsame Schulden ohne gemeinsame Steuer- und Finanzpolitik wären ein unseriöser Blanko-Scheck. Oder würden Sie mit allen Bewohnern Ihres Mietshauses gemeinsam einen Kredit aufnehmen?  Ohne dass Sie wissen, wofür die Nachbarn das Geld ausgeben?  Wo doch der Meier aus der zweiten Etage spielsüchtig sein soll und die von der Studenten-WG aus der fünften links oft bis in die Puppen pennen?

Falls Sie jetzt mit sich hadern, weil Sie die armen Studenten nicht sofort unterstützen: Die Höhe der Staatsschulden sagt nichts über die Höhe privater Vermögen in den einzelnen Ländern aus. Deutsche Privathaushalte haben ein mittleres Nettovermögen von 51.400 Euro. Italienische dagegen von 173.500, spanische von 182.700. Was sich vor allem durch Immobilieneigentum erklärt. Oder anders ausgedrückt: Der Student aus der WG mag ja wie ein armer verpeilter Schlucker wirken. Aber seine Eltern haben womöglich ein schönes Haus in guter Lage.

Harter Euro, harte Entscheidungen
Was in der Krise zusätzlich auffällt: Der Euro scheint für schwächere EU-Staaten von einer Lösung zu einem Problem zu werden. Weil er keine eigene Geldpolitik erlaubt, um den Auswirkungen der Pandemie zu begegnen.

Länder mit eigener Währung können diese zum Beispiel abwerten. Das stärkt deren Exporte und den Tourismus. Gut verständlich wird dieser Mechanismus hier beschrieben. Die Einführung des Euros hat letztlich Deutschlands Wirtschaft stärker und die von Italien schwächer gemacht. Vielleicht ist ein Ausstieg der südlichen EU-Staaten aus dem Euro eine Chance für dessen Rettung und damit auch für die Rettung der EU. Damit könnte sich eine EU der zwei Geschwindigkeiten herausbilden.

Und damit würde vielleicht wieder praktikabel, was Jean Monnet, ein Vordenker der (west)europäischen Einheit, als Methode beschrieben hat: “Dynamik in kleinen Schritten von nachhaltiger Bedeutung”. Denn derzeit scheint die EU zu groß, um im Konsens zu gemeinsamen Schritten zu finden, von Währungs- bis Flüchtlingspolitik. Und damit fehlt es dann auch an der Dynamik.

Never waste a good crisis, heißt es. Lass eine gute Krise nie ungenutzt. Corona könnte den Anstoß liefern, den Golem EU zu reformieren. Orientiert an den Interessen seiner Bürger. Ohne besserwisserische, moralinsaure Fingerzeige. Also ganz anders als beim Beitritt 1990.

Und was die Laienspielschar betrifft – Sie wissen ja, wieso das Abi im Westen 13 Jahre statt wie im Osten 12 gedauert hat: ein Jahr Schauspielunterricht.


Zum Weiterlesen:

Das IPG-Journal der Friedrich-Ebert-Stiftung über den Plan eines Europäischen Wiederaufbaufonds

 

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