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Der bayerische Ministerpräsident Max Streibl hielt sie für eine Laienspielschar, sein CSU-Parteikollege Bundesfinanzminister Theodor Waigel für zumindest in Teilen überfordert – die DDR-Regierungsmannschaft um Lothar de Maizière. Ein Buch fragt nach den Erinnerungen der DDR-Politiker.

“Die Staatsmacht, die sich selbst abschaffte. Die letzte DDR-Regierung im Gespräch” porträtiert in 2016/2017 entstandenen Interviews Sabine Bergmann-Pohl, als Volkskammer-Präsidentin gleichzeitig Staatsoberhaupt, Ministerpräsident de Maizière sowie 14 Minister der ersten und einzigen frei gewählten DDR-Regierung. Das Buch entstand als Projekt der Bundesstifung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Konservative Allianz, große Koalition
Die Volkskammerwahl 1990 sah mit 48 Prozent die Allianz für Deutschland als Überraschungssieger, eine Verbindung aus CDU, Deutscher Sozialer Union und Demokratischem Aufbruch. Damit deuteten die Zeichen auf eine schnelle Wiedervereinigung. Um für die bevorstehenden Veränderungen eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit zu haben, bildete de Maizière eine Koalition mit der SPD und den Liberalen, wobei er im Zuschnitt der Ministerien das bundesdeutsche Kabinett spiegelte. In ihrem knappen halben Jahr Amtszeit, deren Kürze sie selbst überraschte, hat die erste frei gewählten DDR-Regierung dann 96 Gesetze beschlossen, 143 Verordnungen unterzeichnet und den Beitritt zur Bundesrepublik geregelt.

Herausgeber Olaf Jacobs, Jahrgang 1972, ist in Leipzig geboren und Filmregisseur und -produzent. Foto: Mitteldeutscher Verlag

Aus dem Beruf in die erste Reihe der Politik
Bergmann-Pohl war zuvor Fachärztin für Lungenkrankheiten, de Maizìere Musiker und Anwalt, der Innenminister Peter-Michael Diestel Abteilungsleiter einer Agrar-Industrie-Vereinigung, der Verteidigungsminister Rainer Eppelmann Pfarrer, der Außenminister Markus Meckel Theologe; insgesamt kamen neun Minister aus dem Kirchenumfeld. Einige waren in DDR-Blockparteien, andere in einer der Wende-Gründungen, der Landwirtschaftsminister Peter Pollack war parteilos. Die meisten sehen sich eher auf ihren Posten gespült als dass sie ihn angestrebt hätten – weil einer es halt machen musste und geeignete Persönlichkeiten rar gewesen seien. Das liest sich im Rückblick bei den einen ehrlicher, bei anderen ein wenig kokett. Einig sind sich alle im Stolz auf ihr großes Arbeitspensum und das dabei Erreichte. Manfred Preiss, Minister für Regionale und Kommunale Angelegenheiten, formuliert es so: “Hinterher weiß man es immer besser. Aber, ich denke, wir haben das Maximale getan, was überhaupt zu schaffen war. Es war nicht mehr drin.”

Anscheinend hat es keine Alternative gegeben. Oder doch nur scheinbar? Omipräsent waren Berater aus dem Westen, mal als hilfreich empfunden, mal als intrigant. “Keiner der DDR-Minister hat richtig aufgemuckt, man hat das hingenommen”, so beschreibt es Christa Schmidt, Ministerin für Familie und Frauen. Und es habe 25 Jahre gebraucht, um einiges an der DDR auch wieder gut zu finden und aufzugreifen: “… Kinderbetreuung, Schulsystem, Bildungspläne, Hochschulpolitik, Polikliniken, das sind alles Dinge, das haben wir gehabt, und das hat funktioniert, und das musste weg.” Kulturminister Herbert Schirmer bedauert das Verhalten westdeutscher Platzhirsche in der Kunst und stellt fest: “Aber es ging einfach auch darum – und an der Kunst lässt sich das exemplarisch nachvollziehen –, es musste alles erst mal ganz kleingemacht werden. Nicht sollte aus diesem System hervorkommen, was es wert gewesen wäre, es neu im gemeinsamen Deutschland auf die Waage zu bringen.”

Großes Pensum, wenig Dank
Statt einer Sozialversicherung 200 Krankenkassen, die Gründung der neuen Bundesländer, die Verhandlungen mit den Siegermächten, die Bündniszugehörigkeit des wiedervereinigten Deutschlands, die Sicherung der Agrarproduktion gegen West-Importe, Eigentumsfragen, Berufsabschlüsse, die Sanierung der Umwelt, die Medienlandschaft, der Weiterbetrieb von Theatern, der Streit um die Hauptstädte der neu zu gründenden Bundesländer, Mauscheleien bei der Privatisierung von Betrieben, Revolten in Gefängnissen, die Stärkung des akademischen Mittelbaus an den Hochschulen, der Aufbruch der zentralistischen Struktur im DDR-Sport, die Währungsreform – das Buch reißt viele Themen an, teils anekdotisch, teils mit Sachinformationen. Auch die Stasi wird thematisiert, schon wegen der IM-Vorwürfe gegen zwei der Minister und gegen de Maizière selbst. Diestel, als Innenminister zuständig für die Zerschlagung der Stasi, begründet plausibel, warum er bei dieser Aufgabe auch mit Leuten aus deren Apparat wie dem Chef der Auslandsspionage Markus Wolf kooperiert hat – nur so sei der Weg zur Einheit friedlich geblieben.

Manches bleibt offen; zwei SPD-Minister sind sich uneins, wieso es zum Austritt der SPD aus der Koalition kam. Der eine sieht die Schuld bei den Linken in der West-SPD, die andere im Druck aus der West-CDU im Vorfeld der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl. Wieso wurde die Frau des Gesundheitsministers Jürgen Kleditzsch gekidnapped und wie ist die Entführung ausgegangen? Was ist aus dem Gründer der ersten privaten Musikschule Berlins geworden – ob er wohl glücklich geworden ist mit seinen Fördermitteln aus dem Kulturministerium?

Und was hätte besser laufen sollen? Wenig. De Maizière bedauert es, dass Gebiet der Altersversorge vernachlässigt zu haben mit dessen 60 Sonderversorgungssystemen. Kulturminister Herbert Schirmer hätte gern ein gemeinsames Kulturministerium aufgebaut, statt die Kultur Sache der Bundesländer sein zu lassen. Verteidigungsminister Eppelmann, dessen öffentliche Auftritte dem Rezensenten als selbstgerecht in Erinnerung sind, meint, gelassener und nachdenklicher geworden zu sein.

Das Ende der DDR war mit wenig Dank für deren letzte Regierung verbunden. Die Familien- und Sozialministerin bekam ihre Entlassungsurkunde von ihrem Fahrer zugeschoben. Bei der Wiedervereinigungsfeier im Reichstag war selbst de Maizière nur noch Randfigur neben Kohl und der übrigen Westprominenz. Bergmann-Pohl und de Maizière wurden noch kurzzeitig Minister ohne Geschäftsbereich unter Kohl, Eppelmann war im Bundestag, andere aus der DDR-Regierung sind in die Landespolitik gewechselt, zu Stiftungen gegangen, in die Wirtschaft oder in die Kommunalpolitik. In die dritte, vierte oder fünfte Reihe zurückgetreten sind sie alle.

Und Max Streibl? Max Streibl stolperte 1993 über die Amigo-Affäre, einen Bestechungsskandal.

 

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