In elf Kurzgeschichten zeichnet Daniela Krien die Kluft im Osten zwischen Verheißung und Existenzkampf. Muldental könnte auch in der Prignitz liegen oder in der Altmark. Die Geschichten zeigen keine strahlenden Gewinner. Sie zeigen Leute, die sich gegen ihr Scheitern stemmen.
Ja, die Stasi kommt vor. Gleich zu Beginn und eher beiläufig hakt Krien diesen Topos ab, ohne den ein Buch aus dem Osten wohl schlechter vermarktbar wäre: Der Geheimdienst erpresst Maria und lockt mit besonderen Medikamenten für ihren kranken Mann und einem Studienplatz für den Sohn Thomas. Maria schreibt Berichte über Künstlerfreunde ihres Mannes. Was diesem nach der Wende dann als Rechtfertigung dient, all seine Verbitterung über ein Leben im Rollstuhl an Maria auszulassen. Sie erträgt es.
Wende? “Vor und nach dem Mauerfall, vor und nach der Wende, vor und nach der friedlichen Revolution, egal wie sie es nennen, die Bruchstelle ist für alle dieselbe”, heißt es in der letzten Geschichte.
Die Stories basieren auf kurzen Notizen zu tatsächlichen Ereignissen, aufgeschnappt oder in der Zeitung gelesen. „Unter dem Diktat der Selbstoptimierung darf es keinen Stillstand geben. Aufgeben ist keine Option“, schreibt Krien, 1975 in Mecklenburg geboren, in Jena und im Vogtland aufgewachsen. Spontan erfindet der Rezensent dafür die Stilrichtung Kapitalistischer Realismus. Die meisten Protagonisten in den Geschichten geben tatsächlich nicht auf. Oft sind es Frauen, die die Dinge am Laufen halten. Es muss weitergehen, wenn auch nicht unbedingt voran.
So wie bei Nina, die im Stress der pubertierenden Tochter die erste Ohrfeige ihres Lebens gibt und ihre Zulassung als Tagesmutter verliert. Oder bei Anne, die während der Ausbildung im Westen erlebt, dass sich eine Patientin nicht von ihr behandeln lassen will aus Angst vor Ost-Bakterien. Juliane hat mit Wiebke zusammen den Abschluss in Kunstgeschichte gemacht. Und jetzt bei Wiebke eine Putzstelle. Maren versucht es mit Prostitution, weil sie keine Lust auf Putzen hat und das höchste Erreichbare eine Stelle als Verkäuferin bei Lidl ist.
Die Kühle, die Distanz erinnern an den Erzählton in Christoph Heins “Der fremde Freund”. Auch Kriens dahingetupfte Miniaturen handeln vom Fremdsein mit sich selbst und mit anderen. Der Osten ist bei ihr ein Muldental des Scheiterns, der Einsamkeit, des Verzweifelns, des Durchbeißens. “Gebrochen und wiederauferstanden, wie die meisten hier.” Die Aneinanderreihung kleiner Übel und großen Unglücks zwischen Pech und Verhängnis gibt dem Buch eine düstere Schwere. Immerhin zum Ausklang öffnet Krien statt der Büchse der Pandora eine Dose Hoffnung: Es finden sich zwei, die einander trauen und es wohl schaffen, den Augenblick verweilen lassen.
“Zwar wusste kaum einer, wie sich die Dinge tatsächlich zugetragen haben, doch für die Wahrheit haben sich die Menschen noch nie interessiert.” Menschen interessieren sich für Geschichten. Die von Daniela Krien lohnen das Lesen.
Das Buch ist im Diogenes-Verlag erschienen, hat 240 Seite und kostet 22 Euro. Über den Link im vorigen Satz gelangen Sie auch zu einer Lese- und Hörprobe.
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