Regina Sylvester

  1. Welche Begriffe verbinden Sie spontan mit der DDR?
    Antifaschistischer Schutzwall. Arbeiter- und Bauernstaat. Staatsbürgerkunde. Klassenkampf. Klassenfrage. Neues Deutschland.
  2. Woran erinnern Sie sich besonders gern?
    Meine Anfänge des Schreibens, besonders für den “Sonntag“. Bücher klauen auf der Leipziger Buchmesse. Gespräche unter Freunden. „An – und Verkauf“. Tierpark.
  3. Woran denken Sie ungern zurück?
    An meinen Mauertraum, jedes Jahr seit August 1961 mehrmals: Ich kannte eine Lücke in der Chausseestraße, durch die ich mich auf den darunterliegenden U-Bahnhof fallen lassen und nach Westberlin fahren konnte. Ich stieg aus und besuchte meine Tante Lisa in der Liverpooler Straße in Wedding. Sie schälte eine Apfelsine, aber ich war unruhig, lief die ganze Strecke zu Fuß zurück und suchte eine Stelle, um über die Mauer zu klettern. Ich fand eine, fiel auf der Ostseite in einen Blätterhaufen und weinte.
  4. Wie verlief Ihr Berufsweg?
    Da ich beim Abitur sehr gute Zensuren hatte, konnte ich mich schwer entscheiden. Ich zog, nach einer Schneiderlehre, die Bewerbung für ein Medizinstudium zurück und studierte stattdessen Theaterwissenschaft und Philosophie. Danach arbeitete ich als wissenschaftliche Assistentin an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg. Das war ein weiter Weg, immer um Westberlin herum. Nach 13 Jahren ging ich wegen Konrad Wolf in den Filmbereich der Akademie der Künste. War dann freischaffend und die letzte kurze DDR-Zeit Filmautorin bei der Defa. Die war ja dann bald weg.
  5. Was haben Sie in der Freizeit getan?
    Bücher lesen. Tanzen im Jugend-Club Helmut Just in der Gartenstraße. Klavier spielen, texten, komponieren, singen. Nähen. Junge Gemeinde. Kirchenchor.
  6. Wen aus der DDR verehren Sie besonders und wofür?
    Wolfgang Kohlhaase, dem ich das Interesse für Geschichte verdanke …
  7. Was hat Ihre DDR-Vita besonders geprägt?
    Meine Außenseiterstellung: Mein Vater, der einen privaten Brunnenbaubetrieb führte, galt als Kapitalist. Ich habe in der DDR nur durch gute Leistung eine gewisse Akzeptanz gefunden.
  8. War das Verhältnis von Männern und Frauen zueinander anders als heute?
    Ungezwungener. Unproblematischer. Affären zugeneigter. Lustiger.
  9. Welche Meinung hatten Sie 1990 zur Wiedervereinigung?
    Mich hat mit der DDR sehr wenig verbunden, aber ich war wütend, mit welcher Arroganz mein  Land übernommen wurde.
  10. Welche Meinung haben Sie heute zum vereinten Deutschland?
    Ich glaube, dass Politikverdruss, AfD, Ausländerfeindlichkeit, Misstrauen den Medien gegenüber aus ähnlicher Ursache kommen: Das vereinte Deutschland hat sich nicht für Ostbiografien interessiert, es hat in den neuen Bürgern keinen Gewinn, sondern eine Last gesehen. Der Osten ist immer bockiger geworden und glaubt Gerüchten, der Westen versteht nichts, distanziert sich und glaubt anderen Gerüchten.

    Und falls Sie noch Ihren Lieblings-Ostwitz loswerden wollen: nur zu.

    Der Lehrer fragt Fritzchen: „Was ist das:  Es ist klein, rothaarig und hat einen langen Schwanz?“ – „Wenn mich das mein Vater gefragt hätte, dann würde ich sagen, das ist ein Eichhörnchen. Aber wenn Sie mich das fragen, dann wird es bestimmt wieder Lenin sein.“

2 Responses to Regine Sylvester, Berlin, Journalistin und Autorin

  1. Redaktion sagt:

    Regine Sylvester schreibt unter anderem für Die Zeit und die Berliner Zeitung. Weitere Texte von ihr finden Sie auch auf ihrer Website: http://www.regine-sylvester.de/

  2. Redaktion sagt:

    Transparente Korrektur: In einer früheren Version des Artikels war noch vom Jugendclub Erich Franz die Schreibe. Gemeint war aber der Jugendclub Helmut Just.

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