Der Autor untersucht Zusammenhänge zwischen den Positionen der Neuen Rechten und der 1968er-Linken. Das ist spannend und führt beim Lesen zu verblüffenden Momenten.
Links-rot-grün-Versiffte gegen Ewiggestrige? Dass es so einfach nicht ist, erläutert der Soziologe Thomas Wagner in seinem Buch an vielen Beispielen. Wagner, der als Autor für verschiedene eher linke Zeitungen geschrieben hat, hat dafür in neurechter Literatur geschmökert und mit rechten Meinungsführern gesprochen. Namen wie Thilo Sarrazin oder Götz Kubitschek sind dem Zeitungsleser sicherlich vertraut, viele andere Namen nur einschlägig Engagierten oder Interessierten.
Laut Wagner bildet das Jahr 1968 eine Zäsur, die jedoch nicht nur Ausgangspunkt der Entwicklung der Bundesrepublik zu einer linksliberalen, offenen Gesellschaft gewesen sei. Während die Linken ihren Marsch durch die Institutionen gingen, habe sich gleichzeitig eine Neue Rechte formiert, die sich im Kampf um kulturelle Hegemonie von linken Positionen (Anti-Kapitalismus, Kritik an den USA und am Establishment) ebenso inspirieren lasse wie von Aktionsformen der 1968er, zum Beispiel Besetzungen und provokanten Wortmeldungen. Das Thema DDR erwähnt Wagner zum einen unter dem Gesichtspunkt der Entspannungspolitik, die ein Teil der Rechten als Verrat am Gedanken der nationalen Einheit begriffen habe (“Willi Stoph und Willy Brandt, Volksverräter Hand in Hand”), zum anderen in Bezug auf den überdurchschnittlichen Zuspruch für AfD und PEGIDA. Den einer der interviewten Meinungsmacher so erklärt: “Die Leute haben es gründlich satt, als Verfügungsmasse für abstrakte Postulate herhalten zu müssen … Das sind keine Rechten im Seminarsinne, sondern Leute, die keine Anweisungen entgegennehmen wollen …” Einen bedenkenswerten Akzent setzt hier auch Kubitschek. Ihm zufolge drehe sich PEGIDA wegen eines Mangels an Rednern, die tasächlich etwas zu sagen hätten, im Kreise – für ihn ein Versäumnis des liberalkonservativen Lagers rund um die Zeitschrift Junge Freiheit und die AfD, das es versäumt habe, den Protest konstruktiv zu machen.
Breiten Raum im Buch nimmt die Darstellung ethnopluralistischer Auffassungen über das Zusammenleben von Nationen und innerhalb einer Nation dar. Was das Buch nicht nur spannend, sondern auch irritierend macht: Wagner stimmt vielen Äußerungen der von ihm Gelesenen oder Interviewten zu. Wenn er ihnen widersprüchliche Ansätze bescheinigt, dröselt er diese Widersprüche nicht auf – vielleicht aus dem Gefühl einer rechthaberischen ideologischen Selbstgewissheit heraus, die keiner Bestätigung bedarf. Den Interviewten nimmt er ihre ehrenhaften Motive ab, bezweifelt aber, dass sie die Eigendynamik einer von ihnen geförderten Massenbewegung steuern könnten.
Dass die Rechte in Deutschland nicht noch erfolgreicher ist, hänge damit zusammen, dass sie nicht die soziale Frage stelle, also die Umverteilung des gesellschaftlich erzeugten Reichtums. Hier sieht Wagner das theoretische Rüstzeug der Linken dem der Rechten haushoch überlegen. Wenn sich die Linke auf ihre Möglichkeiten besänne, hätte sie in der Auseinandersetzung mit den Argumenten der neuen Rechten nichts zu fürchten. Sein Buch sieht Wagner als Teil dieser Auseinandersetzung, die noch zu selten stattfinde.
Wagner wie auch (fast?) alle von ihm zitierten Sozialwissenschaftler, Autoren, Philosophen sind übrigens im Westen geboren und sozialisiert worden. Selbst wenn – oder gerade wenn – sie mittlerweile einen Lehrstuhl in Ostdeutschland innehaben.
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