9.11.2017 / Selbst mich abgebrühten Texter erstaunt immer wieder aufs Neue, wo in der Sprache Fallstricke lauern. Oder gelauert werden. Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist ein Gedicht, das in Berlin-Hellersdorf und deutschlandweit für diskursive Exzesse sorgt.

Pressefoto der Hochschule
Pressefoto der Hochschule

Hellersdorf ist ein unspektakulärer Teil von Berlin. Auf der einen Seite das größte zusammenhängende Einfamilienhausgebiet Deutschlands, auf der anderen Seite Plattenbauten, aufgelockert von allerlei Grün.  Außerdem gibt es die Fachhochschule Alice Salomon, Ausbildungsstätte zum Beispiel für Sozial- und Kinderpädagogen. Auf deren Fassade steht seit ein paar Jahren ein Gedicht, verfasst 1951 vom mittlerweile 92-jährigen bolivianisch-schweizerischen Künstler Eugen Gomringer, Begründer der Konkreten Poesie.

Das hier im Foto (Bildquelle: Pressefoto der Hochschule) abgebildete Gedicht lautet übersetzt:

alleen
alleen und blumen

blumen
blumen und frauen

alleen
alleen und frauen

alleen und blumen und frauen und
ein bewunderer

Studenten empfinden das Gedicht als sexistisch und patriarchalisch, weil es Frauen zu Objekten der Betrachtung degradiere. Sie meinen, das könne Angsträume schaffen und würde außerdem nicht zur Ausrichtung der Fachhochschule passen. Die Hochschulleitung zeigte den Studenten nicht etwa den Vogel oder die Vögelin (die Vögelnden analog zu Studierenden wäre hier wohl kein passender Gender-Begriff), sondern findet deren Argumentation schlüssig oder zumindest diskussionswürdig.  Nach dem ersten Bekanntwerden der Gedichtkritik rauschte gesamtdeutsch Erregung durchs Feuilleton. Vorgestern lud die Fachhochschule dann zu einer öffentlichen Diskussion ein, die 200 Plätze waren im Vorfeld schnell ausgebucht. Im Saal dann vor allem Befürworter der Bedenken. Da ein AfD-Bezirksverordneter anwesend war, konnte auch “Nazis raus” gerufen werden.

Demnächst können die Angehörigen der Fachhochschule über verschiedene Vorschläge zur Neugestaltung der Fassade abstimmen. Die Entscheidung trifft dann im Januar der Akademische Senat unter den beiden meist befürworteten Ideen sowie dem Vorschlag der Hochschulleitung.

Ein tristes Plattenbaugebiet. Mitten darin ein luftiges Gedicht, das Weite vermittelt und Weltläufigkeit und gute Laune. Und das schlechte Chancen hat gegen eine auf allzeitige Erregungsbereitschaft gepolte Öffentlichkeit. Sprache ist ein vermintes Gelände.

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One Response to Im Plattenbau wird gegendert

  1. Kurt Fels sagt:

    Mann/Frau kann natürlich alles negativ sexistisch sehen. Ich vermute das kommt aus der Männlich/Weiblichen Feministenecke und ihrer Sitzpinklerfreunde.

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