Die Psychotherapeuten Cécile Loetz und Jakob Müller leisten in ihrem Buch Rate-Hilfe: „Mein größtes Rätsel bin ich selbst. Die Geheimnisse der Psyche verstehen“.
Mit den großen Sinnfragen befassen sich Philosophen, Geistliche, Psychotherapeuten – and The Beatles. Zur Existenz Gottes gibt es seit Protagoras (Über die Götter) und knapp 2.500 Jahren ja keine frischen Erkenntnisse. Und die Philosophen haben laut Marx die Welt nur verschieden interpretiert, wo es doch darauf ankommt, sie zu verändern (Thesen über Feuerbach). Veränderung befürworten auch die Beatles, empfehlen aber, lieber erst den eigenen Kopf zu befreien (Revolution). Womit diese Rezension glücklich bei ihrem Gegenstand angelangt ist – einem sehr lesenswerten Buch, das an vier Beispielen aus der Praxis der Psychoanalyse erläutert, wie Psychotherapie funktioniert und wie sie dabei helfen kann, über die Entrümpelung der eigenen Psyche zu einem gelingenden Leben zu finden.
Loetz und Müller sind Psychoanalytiker. Die Psychoanalyse geht davon aus, dass sich unser Selbst aus den Beziehungserfahrungen bildet, die jeder im Laufe des Lebens macht. Als besonders prägend für die spätere Entwicklung sieht sie die Bindungserfahrungen der Kinder in ihren Familien. Auch spätere Beziehungen zu Partnern, Freunden, dem Therapeuten haben demnach Einfluss auf das Selbstbild und das Bild des Selbst von den Anderen. Neben diesem Prinzip erläutern die Autoren im Verlaufe des Buchs auch gut verständlich Fachbegriffe, wie Übertragung, Gegenübertragung, projektive Identifikation, Narzissmus … Literaturempfehlungen und ein Register helfen bei der Orientierung.
Die Fallgeschichten behandeln den Verlauf tatsächlicher Therapien. Anonymisierung und Verfremdung verhindern dabei Rückschlüsse auf den realen Patienten. Ausführliche Nachbesprechungen der Fälle bietet die Website der Autoren. Und da ist also Konrad, Anfang 40, der nach Panikattacken und Herzrasen nachts lange wach liegt, an nichts Interesse oder Freude hat. Gefolgt von Maikes Fall – eine Studentin, die alles auf die lange Bank schiebt und von den Eltern zur Schiedsrichterin im Ehekampf erkoren ist. Der achtjährige Shadi, „wie eine Wachsfigur“, kommt mit seiner Mutter Aliya in die Therapie, weil er, ehemals ein fröhliches Kind, im Kindergarten nur für sich spielt und sich wieder einnässt. Die vierte Fallgeschichte beschreibt die Arbeit mit Tom, einem Mittvierziger mit Allmachtsanspruch. Er kommt wegen Problemen mit der Frau (verdient fast nichts und will trotzdem, dass er sich mehr um die zwölfjährige Tochter kümmert) und mit der Tochter (er nennt sie „Dickerchen“) in die Therapie. Tom pöbelt sich durchs Leben und hält seine gehässige Schroffheit für Ehrlichkeit.
Die Fälle zeigen die Beziehungsdynamik zwischen Therapeuten und Therapierten, das langsame Einkreisen der Probleme, Ausflüge in die Vergangenheit, auch minutenlanges Schweigen in den Therapiestunden, Erfolge, Rückschläge. Und Patienten, die aus der Depression finden, ihren Selbsthass verlieren, beziehungsfähiger werden, bei sich selbst ankommen. Die Autoren finden gelungene Bilder für Gefühle und Situationen – “als hätten wir uns zum Mitagessen verabredet, und nach der Suppe wird schon abgedeckt” beschreibt das als überraschend schnell empfundene Ende einer Sitzung. Die Therapien richten sich nicht nach Glücksratgebern, sind kein Allheilmittel, sondern ein langer Prozess. Sie dauerten jeweils mehrere Jahre, im Fall von Tom (Klassische Psychoanalyse) ganze zehn.
Auch wenn manches Spekulation bleibt: Die Fälle lesen sich mitunter spannend wie ein Krimi; eher Arthur Conan Doyle als Dashiel Hammett.
Das Buch ist im Verlag Carl Hanser erschienen, hat 304 Seiten und kostet 25 Euro. Über den Link im vorigen Satz gelangen Sie auch zu einer Leseprobe.
Weitere Informationen
Website der Autoren
Auch interessant im Zusammenhang mit Psychoanalyse: Carlo Strenger, Die Angst vor der Bedeutungslosigkeit. Link zur Rezension.
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