Bild zeigt CoverDas Buch Rotkäppchen spricht zeigt Bilder Julia Kneises. Die Malerin ist dafür tief in den Märchenwald gegangen und ins Unbewusste. Kneise hält die Momente fest, wo noch alles möglich scheint.

Auf die Bilder der Erfurter Malerin Julia Kneise, Jahrgang 1985, bin ich durch Zufall gestoßen. Im Schloss Molsdorf wollte ich dem lotternden Grafen Gotter nachspüren – ein Diplomat, Lebemann und Tausendsassa des 18. Jahrhunderts. Auch das war interessant, aber gepackt hat mich dann eine andere Ausstellung: Rotkäppchen spricht. Sie ist mittlerweile beendet. Und lebt, wie es sich für Märchen gehört, im gleichnamigen Buch fort, zu dem Siegfried Nucke das kundige Vorwort und hier und da Verse als Ergänzung und Kontrast beigetragen hat.

Gemaelde

Brüderchen und Schwesterchen, Acryl, Pigment auf Leinwand, 2016, 100 x 145 cm

Und so sieht es mich jetzt aus dem Buch an, das Schwesterchen. Elegant und ernst. Vielleicht kennt sie ihr eigenes Märchen nicht und weiß nicht, dass sie einst vom Tode aufersteht, dass die böse Stiefmutter-Hexe verbrannt und das Brüderchen Reh wieder zum Menschen wird an ihrer Seite und an der des Königs, ihres Gemahls. Oder sie weiß es.

Das Däumelinchen im Bild Tulpengroß wirkt wie eine junge Frau aus dem Hier und Jetzt, die vielleicht gerade mit skeptischer Höflichkeit und leiser Belustigung ihr Date im Café am Anger betrachtet. Und Rotkäppchen geht nicht nur einsam und klein durch einen dunklen Wald. Auf einem anderen Bild blickt sie uns groß ins Gesicht, ein bisschen neugierig, ein bisschen bange, wie ein Kind guckt, wenn der Fotograf da ist oder in gehobenen Kreisen der Porträtmaler. Für Gold und Pech werden Gold- und Pechmarie zu einer Figur; winners and losers, which one will you be today?

Immer wieder rückt Kneise Tiere ins Bild, angedeutet wie in Aschenputtels Taubenflug oder als Rehbock, Eule, Rabe, Wolf, Einhorn, die in ihrer deutlichen Ausführung an anatomische Studien erinnern.

Bild zeigt Ehepaar

dann leben sie noch heute, Collage, Mischtechnik, 2021, 35 x 44 cm

Direkt ins Herz trifft dann leben sie noch heute. Aus einem grünblauen Hintergrund tritt fast plastisch ein Brautpaar hervor und hält sich an der Hand.  Sie blickt versonnen nach vorn in die Zukunft, die so ausfällt oder anders. Er betrachtet sie von der Seite in Liebe, Stolz, Unsicherheit. Möge ihr gemeinsames Leben gelingen!

Meine Vorlieben in der Malerei sind eklektizistisch. Hier die Impressionisten, denen die Kunst Kneises insofern verwandt ist, als auch sie den Moment einfängt. Da ein wenig Abstraktes, dort amerikanische Café-Einsamkeit oder russischer Avantgarde-Optimismus. Wenige Bilder berühren mich so wie die Julia Kneises. Ihre Zeichnungen und Gemälde halten die Zeit an, zwischen Verhängnis und Verheißung. Sie rühren an unsere verborgenen Ängste und an unsere heimlichen Hoffnungen. Ist es nicht das, was große Kunst auszeichnet?

Wir wollen berührt sein, verwirrt, verzaubert. Und wem das gelingt, vor dem verneigen wir uns.

Das Buch ist über den Verlag “Tasten und Typen” erhältlich. Es hat 104 Seiten und kostet 25 Euro.

Website Julia Kneises

 

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