Eine Frau springt im Dreieck. Zwischen Bezugspunkten in ihrer Stadt, zwischen Städten, Ländern, Menschen. Antje Göhler beobachtet ihre Ich-Erzählerin Bettina zwischen Aufbruch und Ankunft, zwischen Beobachtung und Teilnahme: “Salziger Wein”.
Göhler lehnt ihren Roman an Theodor Storms Novelle Immensee an. Mehr noch: Storms alte Sätze werden zum Bestandteil der neuen Handlung, auffällig nur durch ihre Kursivschrift. Göhler verwebt die Zitate in den Lebensweg ihrer Heldin. Und verbaut auch Sätze, Wortgruppen, Wörter weiterer Autoren, ebenfalls kursiv gekennzeichnet.
Sie bedient sich dafür bei bekannten Literaten aus der großen Welt und aus der größten DDR der Welt. Und streift dabei auch solche, die nur Literaturwissenschaftlern oder besonders gefräßigen Bücherwürmern bekannt sind: Wilhelm von Kügelgen, Gaito Gasdanow, Ichokas Meras …
Die Zitate ordnet Antje Göhler im Anhang penibel zu, selbst wenn sie als Einzelwort wie Botanisiertrommel nur durch diesen Bezug zum Zitat werden. Das Einweben gelingt ihr ungekünstelt und dessen Fadensuche mit leichter Hand.
Zwischen der Mellensee und der Uni
Ein Mädchen, zwei Jungs. Eine Frau, zwei Männer. Eine Frau, drei Städte: Berlin, Leipzig, Dresden. Betty zieht 1971 als knapp Vierjährige in einen Plattenbau in Berlin-Friedrichsfelde, Mellenseestraße. Zwei Balkons weiter und zwei Jahre älter wohnt Henry. Die beiden werden Freunde, mal mehr, mal weniger eng, begleiten sich durch ihre Kindheit und Jugend. Im Spiel sind sie Welskopf-Henrichs Harka (“Die Söhne der großen Bärin“) und Alexander Wolkows Elli (“Der schlaue Urfin und seine Holzsoldaten”). Oder Ede und Unku. Oder Wolf Larsen und Humphrey van Weyden.
Das innerstädtische Dreieck der Kinder tangiert Bibliothek, Schwimmhalle, Schachclub. Später öffnet Henrys Schulfreund Lutz den Zweierbund zum Trio. In dem jeder eigene Wege geht und die der anderen beiden im Auge behält. Bettys stilles Wesen bevorzugt beobachtende Distanz. Die unbeholfenen und eher pflichtschuldigen Avancen Henrys und Lutz’ wehrt sie ab. Zunächst. Die erste Liebe lässt sich nicht üben.
Nähe und Distanz
Göhlers Werk fängt ein Lebensgefühl ein: das der Leisen, Dünnhäutigen, Introspektiven. Lautem Bescheidwissertum abhold, stehen sie eher als Beobachter am Rand als im Zentrum des Geschehens. Sie wissen um die Zerbrechlichkeit des Konjunktivs – und darum, dass getroffene Entscheidungen andere Möglichkeiten ausschließen. So dass der Freuden-Wein mit Tränen gemischt ist, getrunken in disziplinierter Melancholie.
Die zahllosen Zitate machen Göhlers Roman zu einer Hommage an die Literatur selbst. Jeder Autor steht auf den Schultern von Riesen, und auch die haben haben kleiner angefangen. Mit Tucholsky: “Es gibt keinen Neuschnee.”
Aber immerhin gibt es neue Bücher. Göhlers ist eine Würdigung der Literatur, eine Würdigung ostdeutscher Biografien und ein kurzweiliger Ausflug in die jüngere Vergangenheit.
Das Buch ist im Verlag Heptagon erschienen, hat 180 Seiten und kostet 14,90 Euro.
Passt dazu:
Schach den Kometen mit Feuernasen (Rezension des ersten Romans Antje Göhlers “Balcke oder der Hypmoderne Prometheus”)
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