Bild zeigt BuchcoverSie sind heute etwas grimmig gestimmt? Dann habe ich etwas für Sie: einen Streifzug durchs Grimmsche Wörterbuch.

Hänsel und Gretel, Rapunzel, der Froschkönig, das tapfere Schneiderlein, Schneewittchen – wohl die meisten von uns sind mit den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm aufgewachsen. Die Sprachwissenschaftler Jakob und Wilhelm Grimm sind aber auch die Initiatoren und ersten Autoren eines vielbändigen Wörterbuchs. Thomas Böhm und Peter Graf haben es aufgeschlagen und funkelnde Gemmen sortiert, grafisch eingefasst von 2x Goldstein:

“Neuerliche entdeckungsfreudige Erkundung des Grimmschen Wörterbuchs, den Lebensocean und die Sprachmenschwerdung betreffend”.

Der Mensch selbst stehe im Mittelpunkt, schreiben die Herausgeber. Ich mache die Probe aufs Exempel, schlage das Buch aufs Gratewohl auf und lese: Rauschesseligkeit. Das Auge und mit ihm das Gehirn stolpern in ein Rausch-esseligkeit und sind verwirrt. Die Grimms und die Neu-Herausgeber lösen auf und lassen Annette von Droste-Hülshoff das Wort erklären: “da klirrt aus des balkones thür ein mann mit gert und eisensporen, / ihm nach ein andrer, flasch im arm, in rauschesseligkeit verloren.” Ach so, Rausches-Seligkeit. Und das ausgerechnet mir, seit Jahren dem Alkohol abhold. Aber der Rausch der Sinne lässt sich ja auch anders erreichen. “Für eine Nacht voller Seligkeit, da geb’ ich alles hin”, verspricht Marika Rökk, wenn auch im Film und nicht im Wörterbuch. Ja, das klingt menschlich.

Ich blättere weiter und komme zu klabastern, “ein merkwürdiges volkswort, das nach der entwicklung der bed. und den reichen nebenformen alt sein musz“. Auf drei Seiten folgen Erläuterungen, Herleitungen, Beispiele. In der Altmark komme auch klabistern vor: “dat geit klabister klabaster heiszt es von einem galoppierenden pferde“, zitiert das Wörterbuch einen gewisssen Danneil. Danneil? Muss ich nachschlagen. Ah, ein Prähistoriker, Pädagoge, Archäologe, Heimatforscher, gebürtig aus der Altmark, 1783-1868. Offenbar klabastert/klapastert/klibistert/klapattert und klabattert Mensch wie Tier, rauschesselig oder nicht, von der Altmark über Leipzig bis nach Aachen und weiter in die Schweiz, und oben im Norden klapaustert der klabautermann.

“Wir würden uns freuen, wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in der vorliegenden Auswahl viele Wortschönheiten fänden, in die Sie Ihre Gedanken kleiden mögen”, schreiben die Herausgeber. Sie liefern dafür eine reich ausgestattete Garderobe. Die alten Kleider sind voller Prunk und Zierrat und Glanz. Ganz anders als des Kaisers neue. Aber jenes Märchen stammt ja auch von Hans-Christian Andersen.

Ein Lese- und Denkvergnügen, eine Augenweide – und wer’s anders sieht, ist ein Flauaus und Ziepfiez.

Das Buch ist im Verlag “Das kulturelle Gedächtnis” erschienen, hat 336 Seiten und kostet 28 Euro.

 

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