Torsten Preußing war beim Rundfunksender Stimme der DDR Reporter, Redakteur, Kommentator und Moderator in der Redaktion Bunte Welle. Er stellt dem Blog “Auf Achse für die Solidarität” zur Verfügung, Auszüge aus seinen Erinnerungen an die Zeit beim Rundfunk. Vollständig erschienen sind sie im Buch “Spurensicherung III, Leben in der DDR”, GNN-Verlag Schkeuditz. Vielen Dank für die Einblicke in das Berufsleben und die Zeit!
“Der Traum vom Radio
Ungelogen: Seit meinem zehnten Lebensjahr wollte ich Rundfunkreporter werden. Allerdings blieb meine Mutter zeitlebens der Meinung, dass die liebe Verwandtschaft mir “diesen Floh ins Ohr” gesetzt hätte, weil sie sich davon versprach, das kindliche Plappermaul auch endlich einmal abschalten zu können.
Immerhin war aber in meiner Familie das Ein- und Ausschalten von Radioapparaten so selbstverständlich wie heute das Zappen mit der Fernbedienung durch Dutzende von Fernsehkanälen. In der Mitte der 50er Jahre, dazu in Hennigsdorf bei Berlin, konnte das jedoch nicht jeder von sich behaupten. Und wie meistens besonders die Dinge des Lebens die größte Anziehungskraft entfalten, die am weitesten entfernt oder am wenigsten erschwinglich erscheinen, so zog dieses faszinierende Funk-Medium auch mich in seinen Bann. Ja, noch heute lässt mich der Gedanke immer wieder staunen: “Die ganze Luft ist ja voller Radio!”
Im Vergleich aber zum aktuellen Gedränge, Geschiebe und dem mitunter heillosen Geschubse im Äther mag dieser Ausruf vielleicht übertrieben klingen. Schließlich gab es seinerzeit der Sender noch nicht allzu viele. Mein “Radiomenü” beispielsweise bestand aus dem Deutschlandsender, aus Radio DDR und dem Berliner Rundfunk. Hinzu kamen (abgeschirmt mit Kopf- und Sofakissen) RIAS Berlin, Sender Freies Berlin, der amerikanische Soldatensender AFN sowie gelegentlich auf schwankenden Mittelwellen der DDR-gestützte Freiheitssender 904 der westdeutschen KPD. Aber allein diese Stationsnamen sagen wohl nicht nur dem Insider, welche Antennenstürme solch eine “himmlische” Konstellation auszulösen vermocht hatte. Es wurde gefunkt, was das Zeug hielt, hin und zurück, kreuz und quer, auf dass die Drähte glühten und die Funken stiebten. Die Gründe dafür seien einmal zurückgestellt, sie sind auch hinreichend bekannt. Die “stürmische Anteilnahme” des Publikums ebenso.
In dieses Getümmel mich hineinstürzen zu können und einen hörbaren Teil von mir einzubringen, sollte gleichermaßen Ziel und Motivationsgrundlage während meiner gesamten Schulzeit bleiben. Und als an deren Ende, kurz vor den letzten Abiturprüfungen, ein kleiner Brief mich aufforderte, an einem Frühsommertag des Jahres 1965 beim Deutschlandsender im Funkhaus Nalepastraße von Berlin-Oberschöneweide vorzusprechen, “zwecks Aufnahme eines Volontariats”, da war es an mir, ungläubig aus der Wäsche zu gucken. Wie viel Unkenrufe hatten mich begleitet: “Willst wohl was Besseres werden?” Die zweifelnde Ungewissheit war nach recht eigenartigen Aufnahmeprüfungsgesprächen an der Karl-Marx-Universität Leipzig nicht unbedingt gewichen, und selbst die eigene Familie mit Tanten und Onkeln, denen mehr als die Volksschulabschlüsse der Vorkriegszeit nicht vergönnt waren, sah inzwischen statt spöttisch einigermaßen skeptisch auf das “Küken”, das zum vermeintlichen Höhenflug ansetzen wollte. Andererseits wurden die meisten meiner Verwandten aber auch von einem ungemeinen Stolz getragen, der in der traditionsreichen Hennigsdorfer Arbeiterbewegung wurzelte. Und aus ihr waren sie erwachsen. Nicht wenig hatten sie dabei mitgemacht. Vom bewaffneten Widerstand gegen den Kapp-Putsch über den Hundert-Tage-Streik der Stahlwerker bis zu Faschismus und Krieg. Auch der Siebzehnte Juni war nicht spurlos an ihnen vorübergegangen. Doch solange die Sippe auch zurückdachte, auf eine höhere Schule war weder einer aus der mütterlichen noch jemand aus der väterlichen Linie verschlagen worden. “Und jetzt ausgerechnet dieser Schlaks”, womit mein Onkel Alfred, dem die Gestapo sämtliche Zähne ausgeschlagen hatte, mich meinte. “Willste etwa ‘n zweeter Oertel werden?”
Wenn in jenen Zeiten jemand von außen auf den Rundfunk schaute oder – vor allem – hörte, ohne dessen Inneres zu kennen, dann waren für ihn gewiss die Sportreporter die Könige der Ätherwellen. Auf anscheinend unversiegbare Wortschätze und sicherlich auch riesige Lungenflügel gestützt, übertrugen sie, scheinbar fast ohne Luft zu holen, atemberaubende “Hörbilder” aus fernen Wettkampfarenen, die den Eindruck vermittelten, man wäre unmittelbar dabei und sähe förmlich, wie sich z. B. der Linksaußen durch die vielbeinige Abwehr dribbelte, um dem Mittelstürmer das Leder auf den Kopf zu zirkeln, der es dann mit eisenhartem Schädel unter die Querlatte hämmerte.
Auch heute noch ziehe ich vor diesen Reportern tief meinen Hut. Nur mit einem, weiland an einer langen “Strippe” hängenden, Mikrofon in der Hand doch mit heißem Herzen auf der Zunge erreichten sie fast jedes Wohnzimmer und ließen dort mit treffenden Worten und tollkühnen Metaphern unmittelbar lebendig werden, was andernorts augenblicklich geschah. Im DDR-Hörfunk wurde diese Gilde von Werner Eberhardt, Wolfgang Hempel und eben Heinz Florian Oertel angeführt. Nannte man aber Eberhardt, Hempel, Homrighausen, Knobloch, Kohse u. a. in der Abfolge der Jahre nicht einmal unzutreffend die Könige, dann musste man Oertel neidlos den Thron eines Kaisers der Hörfunksportreportage zugestehen – zumindest was seinen Popularitätsgrad betraf. Und ich gestehe freimütig: Ihm nachzueifern, war gewiss der kleinste Antrieb nicht, der mich meinen Berufsweg gehen ließ. Außerdem war da natürlich auch der Traum, irgendwann – den Sportreportern gleich – die weite, aber hierzulande fast unerreichbare, Welt unter die Füße nehmen zu können …”
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