Eingezahlt und nichts herausbekommen. Johanna Weinhold erzählt die Geschichten dahinter: Die betrogene Generation. Der Kampf um die DDR-Zusatzrenten.
Ein alter DDR-Witz lautet: Was passiert, wenn ein Ökonom in die Wüste kommt? Die Antwort: Erst mal nichts. Dann wird der Sand knapp. Hier könnte die Frage lauten: Was passiert, wenn Rentenexperten sich eines Problems annehmen?
Erst mal nichts. Dann werden die Renten knapp. Nur so richtig lachen kann darüber niemand. Am wenigsten die Betroffenen, die seit 30 Jahren dem hinterherhecheln, was sie für ihr Recht halten. Johanna Weinhold, 1987 in Dresden geborgen, gibt ihnen einen Stimme.
In ihrem Buch dröselt sie die Geschichte der DDR-Zusatzrenten auf und bilanziert den Streit um deren Anerkennung. Am Anfang steht eine Wiedervereinigung, zu deren Zeitpunkt noch nicht alle Fragen der Überleitung alten Sozialrechts in neues geklärt sind. Zum Beispiel die Einbeziehung der für die DDR typischen Freiwilligen Zusatzrenten (FZR). Ein Privileg für die Systemnahen? Nein. Zwar konnten auch Mitarbeiter des Staatsapparats und gesellschaftlicher Organisationen, Kombinatsleiter, Funktionäre Zusatzrenten beziehen – die Summe für “systemnahe” Bezüge-Bezieher hatte die Volkskammer aber noch vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik gedeckelt.
Die Überführung von DDR-Rentenansprüchen in das bundesdeutsche System regelte dann 1991 das Rentenüberleitungsgesetz. Für mehr als 90 Prozent bedeutete es höhere Renten als in der DDR. Doch gleichzeitig wurden für 27 Personengruppen Ansprüche aus der FZR gekürzt oder gestrichen. Dafür wurden laut Weinhold Gruppen gezielt “vergessen”, Wortlaute falsch interpretiert und Festlegungen des Einigungsvertrags ausgehebelt. Betroffen sind ehemalige Reichsbahner und Postler, Krankenschwestern, Angehörige der technischen Intelligenz, in der DDR geschiedene Frauen. Jede der Gruppen reichte Klagen ein; für zehn Gruppen wurden nach teilweise jahrzehntelangem Rechtsstreit Lösungen vereinbart. 17 Gruppen warten immer noch. Exemplarisch kommen Vertreter von ihnen bei Weinhold zu Wort: die Balletttänzerin, der Chemiker, der Ingenieur, die geschiedene Frau, der Reichsbahner, Krankenschwestern, Professoren, Bergleute, auch ein MfS-Mitarbeiter.
Anfänger mit 30 Berufsjahren
Zusatzrenten für Balletttänzerinnen? Ihre Ausbildung dauerte sieben bis neun Jahre, den Beruf selbst konnten sie dann nur 15–20 Jahre ausüben, monatlicher Verdienst: 600 Mark. In der DDR geschiedenen Frauen, die mit Kind zu Hause geblieben waren, fehlt die Rente. Und im Unterschied zum westlichen Scheidungsrecht auch der Versorgungsausgleich durch den Ex-Mann. Den Reichsbahnern werden Betriebsrenten verwehrt; die Deutsche Bahn und das Bundesverkehrsministerium haben sich jahrelang den Schwarzen Peter der Zuständigkeit zugeschoben. Krankenschwestern mit 30 Berufsjahren wurden wie Berufsanfängerinnen bezahlt, weil weder Bund noch Länder Rechtsnachfolger der DDR seien. Und erhielten dann auch noch gerade mal 60 Prozent des Westgehalts laut Bundesangestelltentarifvertrag.
Weinholds Buch ist eine gelungene Darstellung von Rentenrecht, Berufswegen, Biografien. Eine der Stärken sind die vielen Gespräche, die sie dafür mit Betroffenen geführt hat. Aber auch mit dem Psychologen, Arzt und Forschungsgruppenleiter Michael Linden. Er beschreibt, wie empfundene Ungerechtigkeit als Verbitterung über mehrere Generationen von den Eltern an die Kinder weitergegeben wird. Linden sagt: “Ungerechtigkeit auszuüben oder auch auszuleben ist eine Machtdemonstration. Und: Es ist eine Aggression in Form eines Angriffs.“
Prozesse, Petitionen, Verfassungsbeschwerden, Härtefallfonds. Die Betroffenen wünschen sich nicht in die DDR zurück. Sie wollen Gerechtigkeit statt Ungleichbehandlung. “Die, die noch Kraft haben, kämpfen weiter.”
Das Buch ist im Christoph-Links-Verlag erschienen, hat 240 Seiten und kostet 18 Euro.
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