Bild zeigt BuchcoverPolitische Aktivisten vertreten den Standpunkt: Rassismus geht nur von Weißen aus. Schwarze und andere People of Colour wären immer nur Opfer. Sebastian Wessels hat diesen verkürzten Antirassismus untersucht: Im Schatten guter Absichten. Die postmoderne Wiederkehr des Rassendenkens. Wessels ist promovierter Soziologe und arbeitet freiberuflich als Texter und Übersetzer.

In Cambridge und Oxford sollen Altphilologen Sensibilisierungskurse belegen über ihren “strukturellen Rassismus”. Ein Philologe berichtet in der FAZ von Bestrebungen, das Fach neu zu orientieren an der Critical Race Theory. In Hellersdorf muss ein Gedicht von der Wand einer Hochschule weichen, weil Studenten sich sexistisch bedrängt fühlen von Zeilen wie “avenidas y flores y mujeres y  / un admirador”. An Opfergruppen orientierte Identitätspolitik ist auf dem Vormarsch, an Hochschulen und im öffentlichen Diskurs. Stimme der DDR spricht darüber mit Sebastian Wessels.

Herr Wessels, Ihr Buch bezieht sich auf die Critical Race Theory. Was besagt diese Theorie?
Sie besagt im Kern, dass die Gesellschaft umfassend auf Rassismus gebaut und von Rassismus durchdrungen sei, Menschen wie Institutionen. Gemeint sind damit erst einmal die USA, wo die Theorie entstanden ist. Aber ihre deutschen Vertreter übernehmen das weitgehend eins zu eins. Rassismus ist demzufolge nicht als Normabweichung zu verstehen, sondern als herrschende und unausweichliche Norm. Frei nach Watzlawick könnte man im Sinne der Theorie sagen: Man kann nicht nicht rassistisch sein, wenn man weiß ist, und man kann nicht nicht von Rassismus betroffen sein, wenn man nicht weiß ist.

Und was ist daran falsch?

Es ist als Diagnose falsch und als Therapie verheerend. In der Diagnose deutet die Theorie jede soziale Ungleichheit zwischen ethnischen Gruppen als Rassismus oder Folge von Rassismus. Die Wirklichkeit ist aber viel komplizierter. Es gibt etliche Faktoren, die für den Erfolg oder Misserfolg von Minderheiten in westlichen Gesellschaften eine Rolle spielen. Rassismus ist nicht der einzige und meistens nicht der wichtigste. Das hat vor Kurzem auch die Commission on Race and Ethnic Disparities der britischen Regierung in einem Bericht festgestellt. Was die Therapie betrifft: Was passiert, wenn ich sage, an allem Unglück der Schwarzen in den USA sind die Weißen schuld? Erstens, ich erkläre die Weißen zu Schurken, wohlgemerkt die heute lebenden, nicht nur historische Akteure, die tatsächlich rasstistisch waren. Zweitens, ich bringe die beiden Gruppen als Feinde gegeneinander auf. Drittens, ich rede den Schwarzen ein, dass sie keine Chance hätten, im gegebenen System ihr Los zu verbessern. Die Theorie lässt die Möglichkeit gar nicht zu, dass Schwarze es durch eigenes Bemühen zu einem guten Leben bringen und mit Weißen harmonisch zusammenleben können. Sie wünscht sich Minderheiten als zornige Opfer.

Sie kritisieren nicht nur die Wiederkehr des Rassendenkens. Sondern auch andere Identitätspolitik, die einen Opferstatus in den Blick nimmt. Wo ist der Zusammenhang zur Critical Race Theory?

Die Critical Race Theory gehört zu einer Familie von postmodernistisch beeinflussten Kritischen Theorien, die sich auch anderswo bemerkbar machen. Ihre große Gemeinsamkeit ist, dass sie sich die soziale Welt als Gefüge von unterdrückerischen und unterdrückten Identitätsgruppen vorstellen. Dies können Weiße und Schwarze sein, aber auch etwa Männer und Frauen oder Heteros und LGBT-Personen. Manche sehen darin eine Neufassung des Marxschen Klassenkampfkonzepts. Die ausgebeutete Klasse muss die Ausbeuterklasse durch einen revolutionären Akt vom Thron stoßen, um ein neues System zu schaffen, in dem dann Gleichheit herrscht. Womit wir wieder bei der Therapie wären. Die Theorie braucht viele zornige Opfer, weil zufriedene Menschen nicht das System stürzen wollen. Es gibt nur diese binäre Alternative: Man beteiligt sich am revolutionären Projekt oder man ist ein Komplize des Unrechts.

Nach dem Ende der Sowjetunion sind die westeuropäischen Mitte-Links-Parteien wirtschaftspolitisch nach rechts gerückt. Und kompensieren dies mit kulturlinker Identitätspolitik. Mitte-Rechts-Parteien sind immer noch wirtschaftspolitisch rechts, aber in gesellschaftlichen Fragen liberaler geworden, zum Beispiel bei Geschlechterrollen. Wirtschaftspolitisch links orientierte Wähler, die kulturell eher konservativ denken, fühlen sich dadurch von niemandem mehr vertreten. Gehen sie der Demokratie verloren?
Im Moment mache ich mir mehr Sorgen über Eliten, die der Demokratie verloren gehen. Ich glaube, dass die Bevölkerung überall im Westen mehrheitlich demokratisch gesinnt ist und keine antidemokratischen Experimente will. Donald Trump gilt als rechter Teufel, aber was hat er tatsächlich gemacht? In erster Linie hat er der elitären Kultur der politischen Korrektheit eine lärmende Absage erteilt und immer wieder eines versprochen: Jobs, Jobs, Jobs. Und die politmediale Klasse kann bis heute nicht verstehen, warum Menschen ihn gewählt haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

“Im Schatten guter Absichten” ist bei Amazon erschienen, hat 229 Seiten und kostet 10,69.

Weitere Informationen
Sebastian Wessels Blog Homo duplex

 

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