Die DDR war von Wölfen bewohnt. Lange bevor fürsorgliche oder -witzige Artenschützer das Raubtier wieder heimisch werden ließen. Zu den bekanntesten zählten: Christa und Gerhard Wolf.
Erinnert Ihr Euch noch an Núria Quevedo, die Malerin? Wie jetzt – ich soll Sie nicht duzen, wir würden uns doch gar nicht kennen? Und ich dachte, wir hätten durch Ihr regelmäßiges Lesen hier schon einen Hauch Vertrautheit. Aber ob nun Dir oder Ihnen Quevedo noch präsent ist oder auch nicht – in der DDR zählte sie zu den bekanntesten Malern und Buchillustratoren. Und zum großen Freundeskreis von Gerhard und Christa Wolf, den der Aufbau-Verlag noch einmal um Gerhard Wolf versammelt.
Der 92-jährige Autor, Verleger, Essayist hat in Herzensache ein Memorial errichtet und errichtet bekommen. Memorial – unvergessliche Begegnungen lautet denn auch der Untertitel. Darin versammelt sind Texte über Dichter, Maler, Illustratoren, Verleger, Künstler aus dem Umfeld der Wolfs. Sie sind von 1990 bis 2018 entstanden – als (Grab-) Rede, Nachwort, Laudatio, Vortrag, Essay.
Große Namen, kleine Gesten
Neben weithin bekannten Namen wie Hermlin, de Bruyn, Heym, Braun, Reimann, Grass, Fürnberg und natürlich Christa Wolf stehen weniger bekannte Künstler wie Bert Papenfuß oder Gino Hahnemann. Auch ein Designer ist vertreten: Otl Aicher schuf eine Schriftart, die Gerhard Wolf für seinen Verlag Janus press genutzt hat.
Die Herzenssache kommt liebevoll daher. Da eine getupfte Erinnerung an eine Begegnung, dort ein ziseliertes Zitat aus dem Werk des Erinnerten: “Ich Hans Arsch Märtyrer Dichter Held / Wer kennt sich selbst Hier ändre ich die Welt / Hier kann ich es Wer weiß was er vermag / Und was du tust sagt erst der andere Tag.“ Volker Braun mit einer Anleihe bei Goethe.
Nicht jede Beziehung ist dauerhaft hell, was Wolf nicht verschweigt: “Wir waren befreundet.” Sein Porträt Günter de Bruyns stellt Risse fest entlang der Wende: “Manchmal glaubt man schon, nicht in der gleichen Wirklichkeit gelebt zu haben.” Und zollt doch dem ehemaligen Freund den verdienten hohen Respekt.
In den Passagen zur Freundschaft zwischen Christa Wolf und Brigitte Reimann lässt Gerhard W. durchblicken, dass er den Kritiker Reich-Ranicki nicht schätzt. Vielleicht zitiert er dessen Reimann-Eloge deshalb ungenau als “Parlando, in dem der Odem großer Literatur webt” (statt „weht“).
Das Buch ist ein Gewinn vor allem für jene, die mit den Namen etwas anzufangen wissen. Und sie mit ihnen eigenen Erinnerungen verbinden: Weil sie mit den Besprochenen zwar nicht wie die Wolfs bekannt waren, aber schon vertraut. Denn auch das ist Ostdeutschland: feinsinnige Kunst und eine Verbundenheit zwischen Gestaltern und Publikum, die womöglich inniger ist als anderswo.
Und sollten Sie mich duzen wollen: Ich bin Mario. Küsschen lehne ich aber strikt ab.
Das Buch ist im Aufbau-Verlag erschienen, hat 288 Seiten und kostet 22 Euro. Der Link im vorigen Satz führt auch zu einer Leseprobe.
Thematisch ähnliche Literatur im Blog:
Gunnar Decker, Zwischen den Zeiten
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