BuchcoverDer Politikwissenschaftler Adam Przeworski fragt nach der Demokratie und den Aussichten. Sein Blick in die Geschichte sucht dabei nach Mustern für Scheitern und Gelingen.

Przeworski ist 80 Jahre alt und lehrt an der New York Univerisity. Der Titel seines neuen Buchs “Krisen der Demokratie” ließ etwas klingeln bei mir. Gab’s das nicht schon mal? Von Dahrendorf oder Popper? Es war dann Dahrendorf, und überraschenderweise musste ich nur kurz suchen in meinen mäßig sortierten Bücherschränken. Dahrendorfs Buch von 2002 hat noch ein “Die” im Titel. Er grübelt darin, wie sich den demokratischen Prinzipien treu bleiben lässt, “auch wenn die traditionellen Institutionen nicht mehr in der Lage sind, das Wunder zu vollbringen, die Beziehung zwischen Regierten und Regierenden wirksam zu regeln”.

Nun, offenbar ist niemand Dahrendorfs Anregungen für eine Neue Demokratie (von Stärkung des Rechtsstaats bis Schwächung des Regionalismus) in einem Maße gefolgt, das Przeworskis Buch überflüssig gemacht hätte. Was bei Dahrendorf als Gespräch daherkommt und eklektizistisch, wird von Przworski mit Wissenschaftlichkeit aufgeladen. Statistiken, Schaubilder, Vergleiche und zahllose Zitate.

Die Regierung ablösen ohne Blut
Przeworski bezieht sich dabei auf eine Dreiklang-These, der zufolge sich eine Demokratie in der Krise befindet, wenn eines ihrer drei “grundlegenden Prädikate” ausfällt: Wahlen mit echtem Wettbewerb, Bürgerrechte, Herrschaft des Gesetzes. Er beschreibt mögliche Gefahren für jeden dieser Aspekte. Und ergänzt weitere Bedrohungen, selbst wenn es bei keinem der Aspekte Defizite gibt. Dafür begibt er sich ins Feld der Wirtschaft und der Geschichte.

Zum Beispiel mit einer Tabelle über wirtschaftliche Bedingungen in Demokratien, die  zusammenbrachen oder überlebten. Die nicht gescheiterten Demokratien verfügten demnach über das Dreifache des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf der Bevölkerung als die gescheiterten, über das Dreifache an Wachstum und über eine höhere Lohnquote, also den Anteil der Löhne am Bruttoinlandsprodukts. Entsprechend geringer war der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit beim Haushaltseinkommen misst. Die Tabelle ergänzt er um tiefergehende Analysen. Er konstatiert die Stagnation der Einkommen im Niedriglohnsektor, die in den USA seit 40 Jahren anhalte und seit Kürzerem auch in den meisten europäischen Ländern zu beobachten sei.

Also wirtschaftliche Krisen als Zeichen eines bevorstehenden Scheiterns der Demokratie? So einfach ist es nicht bei Przeworski: Bricht die Wirtschaft zusammen, weil die Demokratie stagniert – oder stagniert die Wirtschaft, weil sich der Zusammenbruch der Demokratie ankündigt? Und dann gibt es da noch die “Welt der Postwahrheit”, in der jeder Mensch seine eigene Realität wählt. Und Vorurteilen folgt statt Fakten, solange nur genügend andere dieselben Vorurteile haben.

Wahrscheinlich läuft es laut Przeworski darauf hinaus: Es darf weder zu viel noch zu wenig auf dem Spiel stehen. Zu wenig steht auf dem Spiel, wenn der Ausgang von Wahlen keine Auswirkung auf das Leben der Bürger hat. Zu viel steht auf dem Spiel, wenn das Wahlergebnis der unterlegenen Seite “unerträglich hohe Kosten” auferlegt. Seine “zentrale Schlussfolgerung”: Alles hängt davon ab, ob “Personen, denen die Demokratie am Herzen liegt, die langfristigen Auswirkungen bestimmter Schritte voraussehen.”

Sind die Aussichten also düster? Nein. Zum Beispiel, weil das Militär nicht einmal mehr in Südamerika eine entscheidende Rolle spielt. Mehr aber noch, weil laut dem Ökonomen Galbraith Wirtschaftsprognosen nur dazu da seien, die Astrologie respektabel wirken zu lassen. “Politische Vorhersagen sind noch riskanter als wirtschaftliche”, fügt Przeworski hinzu.

Besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Also doch lieber Lotto spielen. Und in Hommage an das gute alte Tele-Lotto herzhaft lachen, wenn die “14″ gezogen wird.

Das Buch ist im Verlag Suhrkamp erschienen, hat 256 Seiten und kostet 18 Euro. Über den Link im vorigen Satz gelangen Sie auch zu einer Leseprobe.

 

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