Zwei Männer schreiten in Washington die Stufen des Kapitols hinab und reden vom Aufstieg. Vordergründig geht es um T. Aber eigentlich geht es um uns und die gesamte Gesellschaft.
“T Die Stufen des Kapitols” hat Ulrich Schödlbauer seinen “politischen Roman”, so der Untertitel, genannt. Schödlbauer, 1951 in Nordrhein-Westfalen geboren, ist Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Publizist. Seinen einen Protagonisten, Humby Humby, hat er der Literatur entlehnt: Nabokovs “Lolita” und ihrem obsessiven Humbert Humbert. Der Namen des anderen, Fac ten Chek, persifiliert den moralischen Rigorismus jenes Teils des Journalismus, der nach Fake News immer nur an bestimmten Stellen sucht. Als Person ist Fac ten Chek ein vom Kommunisten zum Geschäftsmann gewandelter Vietnamese. Beide sind gut vernetzt, wohlhabend bis unermesslich reich.
Die beiden kennen sich seit längerem und vertrauen einander genug, dass sie nicht jedes Wort auf die Goldwage legen. “Kommen Sie, lassen Sie uns miteinander reden. Miteinander reden: seltenes Gefühl.” Und so nehmen sie die Lage ins Visier: Wie ist das mit T gekommen. Und was hat das mit den liberalen Eliten zu tun und mit Ts Vorgänger, dem “Prediger des Grand Design“ mit den perfekten Reden – einem Friedensfürst, der vom ersten bis zum letzten Tag seiner Amtszeit Krieg geführt habe.
Die Kapitel des Buchs sind nach den 218 Stufen des Kapitols numeriert. Manche sind vier Seiten lang, andere nur einen Absatz. So wie man auch beim Plaudern manchmal stehenbleibt. Das Reden über T sei ein “Fairsuch” heißt es darin. Deshalb steht nicht nur Trump im Mittelpunkt. Sondern auch seine Gegenspieler in der US-Hochpolitik, auch sie Milliardäre und ans jahrzehntelange Geschäftemachen gewöhnt.
Bietet Trump den amerikanischen Arbeitern den besseren Deal? Dass er den Anschein erwecken kann, hat mit dem Versagen der Eliten wie der Linken zu tun. Und natürlich der linken Eliten, wie Fac ten Chek und Humby Humby gesprächsweise ermitteln. Deren entökonomisierte Kapitalismuskritik sei zu einer konsumfreudigen Emanzipationsindustrie geworden, immer auf der Suche nach dem neuen zukunftsfähigen Substrat der Geschichte: “Die smarte Kulturlinke hat den Propagandapparat ein wenig aufgedreht und die Lifestyle-Themen ihrer Mit- und Vordenker über Land gestreut.” Schödlbauer zeichnet diese Identitätsbewegungen als Irrläufer der Repräsentanz und als Mikrotyrannen, als “gut vernetzte Klein-, Mittel- und Großunternehmer im Emanzipations-Business.”
Den Meinungsfuror verorten Schödlbauer und seine Protagonisten auf beiden Seiten. Sie sehen durch ihn Stützen des Staates bedroht: den Professor, der vor demonstrierenden Studenten einknickt, weil er nicht auf Rückendeckung seitens der Universitätsverwaltung rechnen kann. Den Staatsanwalt, “der nicht will, dass ihm Aktivisten das Auto abfackeln oder den Schulweg seiner Kinder im Internet annoncieren”. Die Buchhändlerin, die nicht boyottiert werden mag, weil auf ihrer Leseliste ein missliebiger Schriftsteller erscheint. Den Polizisten, der stumm zuhört, wie sein Kollege weiter nach rechts driftet.
Was hilft dagegen? Wohl miteinander zu reden, so wie die beiden im Buch es tun. Apropos: Während ich diese Rezension schreibe, tobt auf Twitter eine Meinungsschlacht um die gestrige Berliner Demonstration von Gegnern der Pandemie-Maßnahmen. Die SPD-Chefin nennt sie #Covidioten. Demonstranten beharren darauf, nicht die von der Polizei gezählten 20.000 gewesen zu sein. Sondern 500.000, ach was, eine Million. Wie groß war noch mal die Menschenmenge bei Trumps Amtseinführung?
Schödlbauers Buch ließe sich als Beitrag auch zu dieser Diskussion lesen ließe. Das (ausführliche) Nachwort hat Gunter Weißgerber geschrieben, Gründungsmitglied der Sozialdemokratischen Partei der DDR in Leipzig. Für ein reines Lesevergnügen ist “T” zu verkopft. Die Vielzahl an Denkanstößen, das anekdotische Erzählen, die Gedankensprünge erinnern mich an ein Werk Wolf-Dieter Narrs von der linken Seite des politischen Spektrums: “Niemandsherrschaft: eine Einführung in die Schwierigkeiten, Herrschaft zu begreifen”.
Das Buch bringt die Gedanken auf Trab. Wer sich darauf einlässt, stößt auf Sätze, wie: “Die Nation der Reichen wird immer existieren.” Wann haben Sie zuletzt Ihre Aktien gecheckt?
Das Buch ist im Manutius-Verlag erschienen, hat 376 Seiten und kostet 24 Euro.
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