Foto BuchcoverPeter Kamber hat eine Biografie der Brüder Fritz und Alfred Rotter geschrieben. In den Goldenen Zwanzigern haben die beiden Theaterdirektoren janz Berlin mit Operetten und Komödien bei Laune gehalten.

Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil – der Untertitel umreißt die Pole. Und was war es für ein Glanz! Im Frühjahr 1932 bespielen die Brüder in Berlin als Besitzer oder Pächter gleich sechs Theater: das Metropol-Theater (heute: Komische Oper), das Theater des Westens, das Lessingtheater (im Krieg zerstört), den Admiralspalast, das Lustspielhaus (1939 geschlossen), das Zentraltheater (zerstört). Hinzu kommen weitere Bühnen in Dresden und Hannover.

Gezeigt werden Operetten und Salonkomödien. Die Stars sind Fritzi Massary, Gitta Alpár, Richard Tauber, Max Hansen. “Warum soll eine Frau denn kein Verhältnis haben”, singt die Massary 1932 in der musikalischen Komödie Eine Frau, die weiß, was sie will (und singt heute Dagmar Manzel in einer sehenswerten Neuinszenierung). Musik: Oscar Strauss, Text: Alfred Grünwald. Operetten und Singspiele von Franz Lehár, Eduard Künneke, Robert Stolz, Paul Abraham, Mischa Spoliansky, Theo Mackeben …

Bei der Lektüre des Buchs sah ich mich wieder in der Kindheit: zusammen mit meiner Großmutter vor der Flimmerkiste. Wo alte UFA-Streifen laufen – aus Willi Schwabes Rumpelkammer, als Montagabendfilm auf DDR 1 oder im Vormittagsprogramm des Westfernsehens. Die Stars aus den Filmen begegnen mir im Buch auf den Bühnen der Rotters: Theo Lingen, Heinz Rühmann, Hans Albers, Paul Hörbiger, Gustav Fröhlich.

Vorhang auf
Ihren ersten Bühnenverein gründen die Brüder 1908 – da sind sie 20 und 22 Jahre alt. Rotter ist ihr Bühnenname. Geboren wurden sie als Fritz und Alfred Schaie. Wie die beiden sich ihren Theaterkonzern zimmern, das schildert Peter Kamber in fünf Akten und mit Vorspiel und Nachspiel (worin noch ein weiterer und ein falscher Fritz Rotter auftreten).

Dabei verbindet er die Bühne mit dem Geschehen der Zeit. Kamber stützt sich auf unzählige Dokumente und Fotos: Schriftstücke der Theaterpolizei (zuständig für die Kontrolle von Stätten der öffentlichen Lustbarkeit), Zeitungsberichte, Kritiken, Erinnerungen der Beteiligten, Programmhefte, Bücher von Kulturhistorikern. Vor dieser Sorgfalt ziehe ich den Hut – oder besser den Zylinder. Den ich allerdings noch besorgen muss; wofür halten Sie mich denn.

Ebenso zu bewundern ist der plaudernde, aber nie banale Tonfall. Er lädt zum Blättern ein und macht das Lesen zum Genuss. Kamber reiht Bericht an Anekdötchen, Skandal an Skandälchen, Jubel an Bühnenpleite: Richard Tauber bezuschusst eine Aufführung, damit seine Freundin unterkommt. Charlie Chaplin sieht sich im Metropol-Theater Emmerich Kálmáns “Das Veilchen von Montmatre” an. Fritz Rotter zieht in Frauenkleidern durch Berlin. Wenn Vermutungen nicht zu belegen sind, lässt Kamber ihnen das Fragezeichen. Das ist grundsolide.

Von Strindberg bis ins Savoy
Die Rotters zeigen auch Schauspiel-Klassiker. Berühmt werden sie aber mit der leichten Muse. Auch deshalb rümpft die Bohème meist die Nase: Amüsement statt Klassenkampf? Pff. Auch die sozialdemokratische Zeitung Vorwärts polemisiert gegen das “kulturschädliche Geschäftstheater”. Den meisten Berlinern ist die Ablenkung recht bei Viktoria und ihrem Husar, beim Ball im Savoy mit dem Kleinen Schokoladenmädchen, bei der Dubarry, der Blume von Hawaii oder heute längst vergesssenen Stücken. Aber auch ein Erwin Piscator erkennt an: “Es gibt zwei Formen des Theaters. Das moralisch fordernde und das der Unterhaltung. Beide sind berechtigt […].”

Theater war für die Brüder Rotter immer auch ein Geschäft. Mit dem sie Gewinne einfuhren, an Pleiten vorbeischrammten, Gelder an der Börse verspekulierten, Finanzbeamte und Krankenkassen vertrösteten, Aufschübe erwirkten, neue Mäzene suchten. Ein Firmenkonstrukt aus ineinander verschachtelten GmbH hält sie bis kurz vor Schluss persönlich von juristischen Auswirkungen frei. Aber sie verlieren darin wohl auch selbst den Überblick. Und als 1932 ein längjähriger Mäzen, der schwedische Industrielle Ivar Kreuger, pleitegeht und sich erschießt, reißt das eine weitere Lücke in die Finanzen. Hinzu kommt die Konkurrenz durch Kinos, Sportstätten und das neu aufgekommene Radio.

Konkurs und Tod
Kurz vor Hitlers Machtantritt beantragt schließlich einer der Gläubiger die Feststellung des Konkurses. Die gelegentlich antisemitischen Töne in Presseberichten werden zum alles übertönenden Stakkato. Alfred, dessen Frau Gertrud und Fritz Rotter fliehen nach Liechtenstein und entgehen so einem Haftbefehl gegen die Brüder wegen betrügerischen Bankrotts. Die Staatsbürgerschaft des Fürstentums besitzen sie seit 1931. Dortige Nationalsozialisten versuchen zusammen mit Unterstützern aus Konstanz im April 1933, die drei nach Deutschland zu entführen. Dabei stirbt das Ehepaar Rotter; Fritz Rotter kann sich verletzt retten. Seinen weiteren Weg erstmalig nachgezeichnet zu haben, auch das ist ein Verdienst Peter Kambers. Der mittellose Fritz Rotter schlägt sich durch nach Frankreich. Dort wird er später wegen Scheckbetrugs verhaftet. Am 7. Oktober 1939 stirbt er im Gefängnis in Colmar, wohl an Herzversagen. Die Entführer gehen weitgehend straffrei aus.

Kamber würdigt die Rotters und ihre Bühnenkunst auch als eines der wenigen verbindenden Elemente in einer polarisierten Gesellschaft: “In die Operetten der Rotters strömt – gleich wie in die Kinos – ein breiter Querschnitt der Berliner Bevölkerung. Bei allen Schwächen erweisen sie sich […] auf diese Weise als eine wichtige kulturelle Stütze der erschütterten und erschütterbaren Weimarer Republik.”

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns das Glas erheben und die Musik aufdrehen: “Dein ist mein schönstes Lied, weil es allein aus der Liebe erblüht. Sag mir noch einmal, mein einzig Lieb, oh sag noch einmal mir: Ich haaaab’ dich lieb!“ Auf die Rotters und auf Peter Kamber! Und auf meine Großmutter.

Das Buch ist in der Verlagsgruppe Seemann Henschel erschienen, hat 504 Seiten und kostet 26 Euro. Über den Link im vorigen Satz finden Sie auch zu einer Leseprobe.

Zum Stöbern
Fritzi Massary: Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben (Youtube)
Porträt Fritzi Massary  im SRF
Dagmar Manzel und Max Hopp in der Neuinszenierung von Barrie Kosky (Youtube)
Richard Tauber mit “Dein ist mein ganzes Herz” aus Land des Lächelns (Youtube)

 

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