Bild zeigt BuchcoverEine Wunderkammer offenbart dem Besucher Betrachtens- und Staunenswertes. Hereinspaziert – es lohnt sich.

Die Herausgeber Thomas Böhm und Carsten Pfeiffer (Illustration: 2x Goldstein+Schöfer) durchstreifen die deutsche Sprache. Und packen allerliebste Fundstücke in ihre Wunderkammer. Das sind Wortschönheiten wie Galanteriewarenhändler, die Schlusssätze aus Grimms Märchen (bei König Drosselbart: “Ich wollte, du und ich, wir wären auch dabei gewesen.”), Pflanzen- und Kräuternamen (Echtes Mädesüß), Lehnwörter aus dem Deutschen im Finnischen (besserwisseri, kahvipaussi, …), das Vater unser im Althochdeutschen, im Mittelhochdeutschen, bei Luther und in der heute gebräuchlichen Form (“… der Du bist im Himmel, …“)

Der Streifzug führt vom Erhabenen über das Spannende zum Kuriosen: Den Ort Himmelreich gibt es in Deutschland elfmal. Hölle hingegen nur dreimal. Langweiler liegt bei Idar-Oberstein, Fickmühle ist ein Ortsteil von Emtmannsberg. Über Sprachunterschiede innerhalb Deutschlands klären Karten auf. Wo heißt der Jahrmarkt Jahrmarkt und wo heißt er Rummel, Kirmes, Messe, Kirchweih, Kerwe, Chilbi, Dult, Tingeltangel? Wo heißt der Klops Bulette, wo wird er zur Frikadalle und wo sagen die Leute Rundstück zum Brötchen? Das Buch klärt die Grenze zwischen Viertel nach 6, Viertel 7, Viertel ab 6 und Viertel über 6 und die Grußformeln unterschiedlicher Berufe und Gemeinschaften. Glück ab, Gut Land, heißt es bei Ballonfahrern, Frisch auf! bei Wanderern. Also nicken Sie beim nächsten Wandern den Entgegenkommern nicht einfach nur zu. Sie wissen jetzt ja, wie’s geht beim Gehen.

Ein Saal der Wunderkammer versammelt despektierliche Worte anderer Schriftsteller über Goethe. Das Buch nennt Heines Vornamen hier Henrich, geschenkt, an anderer Stelle steht’s korrekt. Weiter geht’s, es gibt so viel zu entdecken. Die Letzten Worte berühmter Menschen übergehen wir; womöglich haben sie ihr halbes Leben darüber gegrübelt. Besuchen wir lieber die Palindrome; das sind Wörter oder Sätze, die von vorn oder hinten gelesen gleich sind. Uhu und Otto sind noch einfach. Der Rentner ist schon schwieriger. Einhorn roh? Nie! ist eine Essgewohnheit, die sinnvoll klingt. Regine – webe weniger, das könnte der Stoßseufzer eines Ehemanns sein, der nun wirklich keinen weiteren Poncho benötigt. Die liebe Tote – Beileid! Vielleicht etwas zu spielerisch für Trauerkarten. Lag er im Kajak? Mir egal.

Brautkleid bleibt Brautkleid
Zum Mitsprechen regen die Zungenbrecher an: Herr von Hagen, darf ich’s wagen, Sie zu fragen, welchen Kragen Sie getragen als Sie lagen krank am Magen in der Stadt zu Kopenhagen? Der Cottbuser Postkutschenkutscher, Fischers Fritze, das Brautkleid und die im dichten Fichtendickicht tüchtig nickenden dicken Fichten sind auch dabei.

Die Wörter und Unwörter des Jahres finden ihre Auflistung (Wort des Jahres 1990: die neuen Bundesländer, ein Jahr später dann bereits: Besserwessi), die Anreden von Würdenträgern ebenso. Fürsten von Alten Fürstlichen Häusern nie wie die von Neuen Häusern nur mit Durchlauchtig anreden, hier ist (oder war) Durchlauchtigst angebracht. Platz in der Wunderkammer finden die Gaunersprache (Förster: Specht), das Pennsylvanisch-Deitsch (wo die Erdnuss Grundniss heißt), Berliner Friseursalons (James Blond). Ein eigener Saal ist dem DDR-Deutsch gewidmet. Zum Glück ohne die ominöse Jahresendflügelfigur oder die Erdmöbel. Dafür aber mit Schrottgorod für Eisenhüttenstadt, mit dem Klaufix, dem Arbeiterschließfach und der Taigatrommel. Jeweils nur einige Beispiele aus einer umfassenden, liebevollen Beschreibung.

In der DDR gab’s viel mehr Auszeichnungen als in Westdeutschland, notiert das Buch anderweitig. Und gesteht zu, dass die Goldenen Hausnummern, Aktivisten und Verdienten Züchter sich auch lesen lassen als Ausdruck einer gesellschaftlichen Wertschätzung für Arbeitsleistungen und soziales Engagement. “Eine Wertschätzung, mit deren Ausdruck sich die bundesrepublikanische Gesellschaft immer schwergetan hat.”

Wer Groschenhefte an den Käufer bringen will, braucht spannende Titel: Not-OP am Hochzeitstag, Kugeln pfeifen Todeslieder, Tödliche Perücken. Kleinodien zur Schatzkammer tragen Schriftsteller, Übersetzer, Buchhändler, Verleger bei, befragt nach ihren zehn Lieblingswörtern und jeder auf eigene Weise. Bei der Sprachwissenschaftlerin Kathrin Kunzel-Razum kommt das gute alte Dostoprimetschatjelnosti zur Wiedererweckung. Molodjez!

Ein Buch für Sprachliebhaber, Sprachkünstler, für platonisch Verbandelte und Verschmähte. Mit Polgar: “Ich beherrsche die deutsche Sprache, aber sie gehorcht nicht immer.“ Und wer’s nicht glauben will, der gehe hin und frage selbst nach.


Das Buch ist im Verlag Das kulturelle Gedächtnis erschienen, hat 300 Seiten und kostet 28 Euro.

 

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