Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung vergleicht europäische Mitte-Links-Parteien. Die Studie “Wo genau ist Mitte-Links?” untersucht, wie deren wahrgenommene Politik den Wünschen und Werten der Gesamtbevölkerung entspricht, insbesondere der sozial Schwächeren.
In Deutschland reiht die Sozialdemokratie eine Wahlniederlage an die nächste. Anderswo in Europa ist es ähnlich. In Dänemark, Großbritannien und Portugal dagegen scheint die sozialdemokratische Welt noch in Ordnung. Woran liegt das? Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat Wähler in neun EU-Ländern befragt. Ausgewählt wurden dabei diejenigen Staaten, in denen rechtspopulistische Parteien in jüngerer Vergangenheit hohe Wahlergebnisse erzielt haben. Mit “Käme es für Sie auch in Frage, die sozialdemokratische Partei zu wählen?” ergründet die Studie gleichzeitig das Wählerpotenzial. Für die SPD kommt sie auf 11 Prozent Wähler und 21 Prozent mögliche Wähler. In Großbritannien liegt der Wert bei 34/22 Prozent, in Dänemark bei 23/24. Andere Fragen der Studie zielen auf persönliche Werte und eine Einschätzung, wie sich die jeweilige sozialdemokratische Partei für diese Werte einsetzt. Ein zweiter Fragenkomplex umfasst Aussagen zu gegensätzlichen politischen Positionen. Im Ergebnis zeigt die Studie zum einen das Profil der Parteien. Und zum anderen die Lücke zwischen der durchschnittlichen Bevölkerungsmeinung und der wahrgenommenen Position der Parteien.
Sozial zu wenig, kulturell zu viel
Sie stellt dabei europäische Muster fest und nationale Besonderheiten. In der Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik entsprächen die europäischen Mitte-Links-Parteien am ehesten den Wünschen und Werten der Wählerschaft, in der Migrations- und Integrationspolitik am wenigsten. “Auf übergreifender Ebene schlagen ungedeckte Bürgererwartungen bei der Bekämpfung von zentralen Missständen wie knappem Wohnraum, fehlender Chancengleichheit, Kriminalität und unzureichenden Mitsprachemöglichkeiten in der Demokratie negativ zu Buche. Zudem wird eine ungenügende Leistungsgerechtigkeit im Sozialsystem moniert. Weiterhin zeigen sich die Bürger_innen – gerade auch solche mit niedrigem Sozialstatus – im kulturellen Bereich meist reservierter als die sozialdemokratischen Parteien selbst, wodurch es in Fragen von Migration, Asyl, Vielfalt und Europäisierung zu Spannungen kommt, wobei es auch um die Grenzen nationalstaatlicher Solidarität geht.”
Für Deutschland und Österreich konstatiert die Studie: “Eine verdichtete Problemlage besteht insbesondere für die deutsche SPD sowie (mit Unterschieden im Einzelnen) für die österreichische SPÖ und die italienische Partito Democratico. Deren Einsatz für weniger privilegierte Bevölkerungsteile gilt als klar unzureichend, ihr Werteangebot über weite Strecken als blutleer und auch im Policy-Bereich ergibt sich eine besonders ungünstige Konstellation: Vor allem in den beiden deutschsprachigen Ländern werden die Parteien aus Bevölkerungssicht zugleich als Vertreterinnen einer in kultureller Hinsicht eher zu libertären, in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht viel zu unentschiedenen Politik wahrgenommen… Außerdem herrscht in der Bevölkerung ein massiver Unmut über die wahrgenommene Gleichgültigkeit der Parteien gegenüber Defiziten in Sachen Demokratie und Kriminalitätsbekämpfung.”
Die knapp 60 Seiten der Studie sind auch für Nicht-Soziologen lesbar. Ein Rezept, wie die SPD sich ihrer einstigen Stammwählerschaft der “kleinen Leute” wieder annähern kann, ohne die verbliebenen, eher bessergestellten Wähler zu vergraulen, liefert sie nicht.
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