Digitalisierung des Klassenzimmers, Rechtschreibreform, Sprachlabor? Das sei Unsinn, schreibt Jürgen Kaube in seinem Plädoyer für eine Schule, die schlau macht.

Kaube ist Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Bildungsexperte – und Vater. Aus dieser doppelten Expertise heraus stellt er seine Diagnose: Die jetzige Schule sei eine Fehlkonstruktion.

Die Gesellschaft erwartet viel von ihren Schulen. Nach linksliberaler Denkweise soll sie sozialen Aufstieg ermöglichen. Und nach der in diesem Fall gar nicht so unterschiedlichen wirtschaftsliberalen für “employability” sorgen, also  verwendungsfähige Arbeitskräfte produzieren. In der Praxis führt das dazu, die Schule mit bürokratischen Regeln und experimentellem Nonsens zu überfrachten. Sie ist zu einer Einrichtung geworden, “die so sehr mit tatsächlichen und vermeintlichen Pflichten überhäuft ist, dass der Unterricht oft entsprechend pflichtschuldig erteilt wird, anstatt dass er den Verstand der Schüler erfrischt.” Kaube belegt das an vielen Beispielen: vom krachend gescheiterten Schreiben nach Gehör über Bestrebungen, Noten durch Kommentierungen der Leistung zu ersetzen, bis hin zur Verlogenheit einer Kompetenzen-Orientierung. Die Leistungsunterschiede nivelliert und den Lernerfolg so weit fasst, dass Schüler, “die anwesend sind, praktisch gar nicht anders können, als die Schule voller Kompetenzen zu verlassen. Auch wenn es nur Unterstreich-Kompetenzen sind, die Kompetenz, etwas in einem Register zu finden, oder die Kompetenz, bei Gruppenarbeit nicht zu stören.”

Lernen durch Regeln
Wenn eine Schule “beispielsweise Anwesenheit, ziviles Verhalten und das kleine Einmaleins” zu ihrer Priorität erklärt, trifft sie auf eine Schulaufsicht, die auf individualisiertem Lernen und Freiarbeit besteht. Lernen erfordert aber schulische Regeln. Kaube fordert das Festhalten an dem, was über Generationen an “Minimalwohlverhalten” erwartet wurde. Solche Erwartungen kämpfen laut Kaube oft mit einer schulischen Umwelt, die anders sozialisiert hat. Schulen müssten deshalb gegen solche Umwelten anerziehen. Die jüngere Schulentwicklung habe darauf mit Listen von sozialen Kompetenzen reagiert, die im Unterricht zu entwickeln seien. Weil Moral aber durch Anschauung erworben werde, trage eine nach Regeln geführte Schule mehr zur moralischen Bildung bei als ethische Unterrichtseinheiten.

Auch die Digitalisierung der Schule als Allheilmittel und Zukunftsversprechen bekommt bei Kaube eher eine Null als eine Eins gezeigt. Es gebe keine belastbaren Hinweise darauf, dass Software den Unterricht verbessere oder dass Kinder, die mehr Zeit am Computer verbrächten, bessere Lernerfolge hätten. Dass Lehrer dank der Digitalsierung jetzt endlich Schüler statt wie bisher Themen unterrichten könnten, sei nur eine Phrase. Sie lasse außer acht, dass ein Lehrer bei zwanzig Schülern jetzt zwanzig unterschiedliche Lernstände im Blick haben müsse, ohne zuvor eine gemeinsame Grundlage als Ausgangspunkt geschaffen zu haben.

Das Kerngeschäft der Schule sei es, das Denken zu lehren. Kaube plädiert für Fokussierung auf den Unterricht, Abstand von gesellschaftspolitischen Illusionen und für mehr Bereitschaft, die Mühen wie die Möglichkeiten erziehenden Unterrichts anzuerkennen.

Viele Pädagogen dürften bei den Thesen des Buchs nicken. Sie kennen zur Genüge all die Heere aus Bildungsforschern und Schulreformern, die ständig alles ändern. Und dabei nichts.

Das Buch ist bei Rowohlt erschienen. Es hat 336 Seiten und kostet 22 Euro.

Weitere Informationen:
Leseprobe des Verlags

 

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