Die Großstadt als Sinnbild der Welt und Universum der Kindheit. Das Dorf als Dauerrausch der Natur. Und die Kleinstadt? Paetzke vermisst in ihr die Heimat seiner Kindheit. Denn Heimat sind Orte und Gefühle.

Ihnen spürt Paetzke in seinem Roman nach. Sein Ausflug in die deutsche und ungarische Nachkriegsgeschichte streift Anekdoten und Personen, biegt in Gassen ab und findet souverän den Weg zurück auf die Hauptstraße. Und zum nächsten Abzweig. An dem dann  zum Beispiel Kriemhild steht. Ihre Mutter war als Jüdin im Konzentrationslager  zur Prostitution gezwungen. Und ist 1948 mit ihrem polnischen Geliebten nach Australien gegangen. Kriemhilds Vater hatte sich rechtzeitig von seiner „nichtarischen“ Frau scheiden lassen. Jetzt ist die 15-jährige Kriemhild mit der Schulklasse an der Ostsee und will ihre Unschuld verlieren. Was ihr dank eines Medizinstudenten auf unübliche Weise gelingt. Später wird Kriemhild dem Autor eine Tochter gebären, deren wirklicher Vater womöglich der einarmige Wirt der Theaterkantine ist.

Die Wege des Romans sind auch dank Paetzkes Biografie verschlungen. Er streift sie en passant, ohne durch eine Autobiografie zu langweilen: Geboren 1943 in Leipzig, vom Gymnasium geflogen wegen Verunglimpfung des Staatsoberhaupts, nach einer Schauspielausbildung vom Theater geflogen. Als Wehrdienstverweigerer im Gefängnis, 1967 doch noch Abitur. 1968 Wechsel nach Ungarn, nachdem er eine Ungarin geheiratet und den Gefälligkeitsauftrag eines katholischen Verlags für die Übersetzung eines ungarischen Roman bekommen hat. Da er damals kein Ungarisch spricht, übernimmt seine frisch Angetraute die Rohübersetzung und er den Feinschliff. 1973 emigriert Paetzke nach Frankfurt/Main – in Ungarn lebende DDR-Deutsche dürfen in den Westen reisen. Im Anschluss ist er mal in der DDR, mal in Ungarn unerwünscht – “der gemäßigteren Diktatur”. Heute ist er vielfach ausgezeichnet für seine Übersetzungen und seine fünf eigenen Romane.

Künstler, Lebenskünstler, Spione, Emigranten, Denunzianten, ein sibirischer Wunderheiler, der seinen Astralleib auf die Reise schickt – „Heimatwirr“ bildet und ist ein abwechslungsreiches, sprachmächtiges Lesevergnügen.

Das Buch ist im Mitteldeutschen Verlag erschienen, hat 319 Seiten und kostet 16 Euro.

 

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