Deutschlands härtester Detektiv ist wieder da: Bernhard Gunther. Erneut mixt Philip Kerr zwei Kriminalfälle aus unterschiedlicher Zeit. Gegen Gunther ziehen nicht nur Nazis den Kürzeren. Sondern auch Erich Mielke. Oder doch nicht?
Ich mag den Kerl. Seit zwölf Romanen kämpft Bernie Gunther ums Überleben in widrigen Zeiten. Als Polizist mit Sympathien für die Sozialdemokratie ist er bei den Nazis in Ungnade. Aber dann doch ein zu guter Ermittler, als dass die neuen Machthaber auf ihn verzichten wollen. So löst er Fälle im Auftrag von Goebbels, Heydrich und anderen Ober-Nazis und versucht dabei, sich seinen Anteil an Wahrheit zu ermitteln. Und dabei so sauber zu bleiben, wie es in dreckigen Zeiten möglich ist.
Zuletzt hatten wir ihn in „Kalter Frieden“ gesehen – unter falschem Namen als Concierge eines Grandhotels an der Côte d’Azur. Und verwickelt in eine Erpressungs-, Mord- und Spionagegeschichte mit so illustren Gestalten wie Kim Philby oder Somerset Maugham. Dabei wurde er von seiner Geliebten Anne French gelinkt, einer Doppelagentin der Stasi.
In diesem Hotel arbeitet er im neuen Roman noch immer. Gleich zu Beginn trifft er auf einen alten Bekannten, Erich Mielke. 1956 ist Mielke Stellvertretender Minister für Staatssicherheit. Gunther hat Mielke in früheren Büchern zwei-, dreimal vor den Nazis und der CIA gerettet. Mielke erweist sich als wenig dankbar. Er will Bernie zwingen, die Verräterin Anne zu töten. Mit Thallium, einem besonders schmerzhaftem radioktiven Gift. Dessen Gegenmittel das titelgebende Berliner Blau ist, ein Farbstoff. Damit Berhard Gunther begreift, wie ernst es Mielke ist, lässt der Stasi-General ihn aufhängen, aber nur ein bisschen. Bernie flieht und versucht, sich selbst und Anne zu retten.
Unter Mielkes Schergen befindet sich Friedrich Korsch. 1939 war Korsch Gunthers Assistent. Den älteren Kriminalfall webt Kerr in die Handlung ein: Auf Hitlers Anwesen auf dem Obersalzberg in Berchtesgaden wurde ein Bauingenieur erschossen. In einer Woche wird der “Führer” erwartet und ein Mörder läuft frei herum? Undenkbar, meint Martin Bormann, Stabschef des “Führerstellvertreters” Heß und graue Eminenz vor Ort. Der Chef des Sicherheitsdienstes Reinhard Heydrich schickt ihm seinen besten Mann. Sieben Tage hat Bernie Zeit, den Mörder zu finden. Und für Heydrich Schmutz zu entdecken, der Bormann belastet – die Nazigrößen hassen einander.
Große Berliner Klappe gegen Nazis und gnadenlos überzeichnete Stasi-Typen. Ein Buch mit sprudelnder Phantasie, das Laune macht. Wie immer schwingen Kerr und mit ihm Bernie eher den Säbel als das Florett. Die Umrisse stimmen. Historische Genauigkeit oder Stimmigkeit bis ins letzte Detail sollte niemand erwarten. Im Zweifel für den Effekt. Bernies Sarkasmus und böser Witz ist geblieben. Das an Remarque erinnernde schwere Pathos früherer Werke ist diesmal in den Hintergrund getreten.
Philipp Kerr ist 2018 verstorben. Der deutsche Verlag wird seinem Autor hoffentlich auch bei den letzten beiden Romanen die Treue halten. Und mit ihm Bernie Gunther. Ich mag den Kerl.
Das Buch ist bei Wunderlich erschienen, hat 638 Seiten und kostet 23 Euro.
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2 Responses to Ausgelesen: Philip Kerr, Berliner Blau
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“Historische Genauigkeit oder Stimmigkeit bis ins letzte Detail sollte niemand erwarten.” (Zitat Kluge) Damit hat Mario Kluge in seiner trefflichen Rezension gewiss Recht. Dennoch enerviert es, wenn man bei Kerr ab und an historische Fehler findet, die ich einem schottischen Autor, der mit manchen Feinheiten preußischer-deutscher Geschichte nicht gänzlich vertraut sein darf, nicht vorwerfe, die aber einem Übersetzer oder Lektor des Verlages hätten auffallen sollen. Andererseits ist es amüsant, wenn man in einem der letzten Gunther-Romane, ich denke, es war “Kalter Frieden”, vom Sohne Friedrich des Großen liest. Fehler dieser Art sollten indes nicht in einer Übersetzung ins Deutsche erscheinen, das geht an die Adresse des Verlages. Ansonsten stimme ich M. Kluge voll und ganz zu, ein lesenswertes Buch, um einiges besser als das vorangegangene. Ich freue mich ebenfalls auf die beiden ausstehenden Bände.
Danke fürs freundliche Kompliment.
Bei der Krimireihe Phil Rickmans über die Pfarrerin Merrily Watkins ist Rowohlt ausgestiegen. Der Aufbau-Verlag hat Boris Akunins Fandorin-Reihe nicht weiter übersetzt. Solche wirtschaftlichen Entscheidungen verärgern Leser, denen die literarischen Figuren zu Freizeitgefährten geworden sind. Bleibt zu hoffen, dass für Bernie die Zahlen stimmen.