Die Digitalisierung tötet Jobs. Und schafft neue. Keese empfiehlt, über den eigenen Job nachzudenken, ehe er womöglich wegfällt: “Vom Abenteuer, sich in der digitalen Welt neu erfinden zu müssen”, lautet der Untertitel.

Disruption meint einen Prozess, bei dem bestehenden Geschäftsmodelle oder Märkte durch eine Innovation abgelöst oder zerschlagen werden. Sind Sie Multimediakünstler oder Animator? Dann hat Ihr Job laut Keese eine Abschaffungswahrscheinlichkeit von nur 1,5 Prozent. Die Berufe der Buchhalter und Steuerprüfer hingegen sind mit einer Wahrscheinlichkeit von 98 Prozent dem Untergang geweiht. Gefährdet sind Tätigkeiten mit demSchwerpunkt auf der Erkennung von Mustern und mit Abfolgen von Reiz und Reaktion. Berufe, die Einfühlung und soziale Interaktion erfordern, gelten hingegen als weitgehend sicher. Keese zitiert Studien, nach denen 40 Prozent aller Berufe durch die Digitalisierung von Arbeitsplatzverlust betroffen sind.

Das glauben viele derjenigen nicht, die in diesen Berufen arbeiten. Keese berichtet von Gesprächen mit Finanzbeamten und Paketboten, die so gut zu tun haben, dass sie sich in Sicherheit wähnen. Zu Unrecht, meint der Autor.

Für das Hinterfragen des eigenen Berufs liefert er eine Fünf-Fragen-Liste. An deren Ende steht: “Was können Sie besonders gut?” Die Antwort sollte nicht zu konkret ausfallen: Statt “Ich war schon immer gut im Rechnen” lieber “Ich besitze ein gutes Vorstellungsvermögen für abstrakte Größen.” So könne man den Beruf wechseln, ohne seinen Vorlieben untreu zu werden. Sein Beispiel: statt Mathematiker in einer Versicherung Optimierer von Preisen und Routen bei Reise-Plattformen.

Keese schildert, wie Menschen sich und ganze Unternehmen neu erfunden haben. Booking.com hat die Reisebuchung revolutioniert. Bei der Fondsgesellschaft DWS empfehlen automatische Anlageberater, “Robo-Adviser”, Kunden die für sie passenden Finanzprodukte. Flixbus hat seine Routen anhand genauer Datenanalysen entwickelt. Ein Algorithmus steuert die Ticketpreise so, dass eine fürs Unternehmen optimale Auslastung herauskommt. Der Design-Chef von Audi denkt darüber nach, das Auto zum rollenden Hotelzimmer zu machen. Oder zum rollenden Büro, zur rollenden Konzertkammer … Kunden wollen ein unbedingtes Umtauschrecht für Waren – weil traditionelle Anbieter gezögert haben, sind Millionen Kunden bei den Angreifern Zalando oder Amazon gelandet.

Keese nennt auch Gegenbeispiele: eine durch ihre Struktur unbewegliche Taxigenossenschaft, die Fahrgäste an die Plattformen Uber und Mytaxi verliert. Parkraumbewirtschafter, denen mit einer Handy-App besser geholfen wäre als mit Kassenautomaten. Apotheker, die keinen Service anbieten. Und trotzig darauf vertrauen, dass Eltern sich auch künftig nachts zur Notdienst-Apotheke aufmachen, vielleicht noch mit dem kranken Kind im Schlepptau.

Wo sind Kunden genervt, wo können Angreifer ansetzen – für die Beantwortung sind auch die Mitarbeiter gefragt, nicht nur die Chefs. Kesse zitiert den Chief Digital Officer des Chemiekonzerns Lanxess: “Die Leute sind nicht dumm und wollen nicht für dumm verkauft werden. Sie wissen genau, wo das Unternehmen steht und wo Gefahren lauern.”

Keese schreibt aus der Erfahrung eines Journalisten heraus, dessen Informationsmonopol zuerst von der Blogger-Szene und dann von Social-Media-Plattformen erschüttert worden ist. Er hat sich neue Felder erschlossen und wird vom Buchverlag als “einer der führenden Digitalisierungsexperten Deutschlands” beworben.

Vielleicht lässt Keese sich bei seinen Geschichten von Angreifern und Bedrohten zu sehr von seinen Gesprächspartnern und deren Lösungen begeistern. Auch der Datenschutz kommt bei ihm eher als vorgeschobener Grund fürs Nichtstun daher. Das Buch bietet aber einen willkommenen Anlass, eigene Gewissheiten zu hinterfragen. Viele Ostdeutsche dürften darin Erfahrung haben. Sie haben sich schon einmal neu erfunden.

Das Buch ist im September 2018 im Penguin-Verlag erschienen, hat 288 Seiten und kostet 22 Euro.

 

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