Nach Mitternacht poltern die schweren Schritte durch die Gänge. Die Emigranten in der Moskauer Herberge Lux liegen ängstlich wach – wer wird dieses Mal abgeholt?

Am 15. Mai 1937 trifft es Hermann Remmele, ehemals KPD-Vorsitzender und Mitglied des Exekutivkommittees der Kommunistischen Internationale, vormals gefeiert als “einer der Besten der eisernen bolschewistischen Garde”. Gut zwei Monate später wird auch seine Frau Anna verhaftet. Sie kommt nach anderthalb Jahren frei, Hermann Remmele wird nach Folterungen Anfang 1939 erschossen. Sein Verbrechen? Die “Teilnahme an einer konterrevolutionären terroristischen Organisation”. Die es nie gegeben hat.

Am Beispiel der Remmeles und zahlreichen weiteren schildert der Historiker Andreas Peters den Terror gegen deutsche Kommunisten in der Sowjetunion der dreißiger Jahre und dessen Auswirkungen auf die Staatsgründung der DDR. Von den 68 führenden KPD-Politikern im sowjetischen Exil werden 41 ermordet. Sie sind Opfer eines stalinistischen Systems, das  Misserfolge mit konterrevolutionären Verschwörungen begründet. Der Führer der Kommunistischen Internationale Georgi Dimitroff, ein Bulgare, notiert im November 1937 als Trinkspruch Stalins bei einem Empfang: “Und wir werden jeden dieser Feinde vernichten. Sei er auch ein alter Bolschewik, wir werden seine Sippe, seine Familie komplett vernichten … Auf die Vernichtung aller Feinde, ihrer selbst, ihrer Sippe – bis zum Ende.” Zustimmende Ausrufe: “Auf den großen Stalin!”

Überall Saboteure und Trotzkisten
Das Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten NKWD deckt überall Verschwörungen auf. Weil es Kontingente zu erfüllen hat, verhaftet es familien- und wohnungsweise und führt ganze Belegschaften ab. In Schauprozessen bekennen sich prominente Angeklagte wie Nikolai Bucharin schuldig, von Lenin einst “Liebling der Partei” genannt. Überall werden Volksfeinde, Schädlinge, Trotzkisten und Agenten gesucht, gefunden, gefoltert, hingerichtet. Weil immer neue Volksfeinde enttarnt werden müssen, trifft es schließlich auch das NKWD selbst: 21.000 NKWD-Angehörige werden von ihren Kollegen erschossen. Chancen hat, wer selbst denunziert, ehe er von anderen denunziert wird. Die deutschen Exilanten sind Teil dieser Maschinerie aus Bezichtigung, ritueller Selbstkritik, Sippenhaft und Justizmord. Die Kaderabteilung der Komintern arbeitet dem NKWD zu und übergibt Daten von 3.000 Menschen, die sie “als Spione, Diversanten, Provokateure“ verdächtigt. Von keiner anderen Komintern-Sektion erhält das NKWD dabei so viele Daten wie von der deutschen. KPD-Vertreter wie Pieck und Ulbricht beteiligen sich an den Anklagen und Hetzjagden. Als Anna Remmele bei Pieck für ihren verhafteten Mann interveniert, verspricht der spätere DDR-Präsident, sich für diesen einzusetzen. Ehe sie ihn dann hinter verschlossener Tür zu einem anderen Genossen sagen hört: “… sei doch froh, dass wir solche Schweinehunde wie diesen Hermann auf diese Weise endlich loswerden …“

Geht es gerade noch um die Enttarnung vorgeblicher Reichswehr-, Wehrmacht- und Gestapo-Spione, ist mit dem Hitler-Stalin-Pakt das Feindbild plötzlich veraltet. Jetzt werden im Zuge der neuen deutsch-sowjetischen Freundschaft missliebige Deutsche nicht mehr nur in sowjetische Straflager geschickt, sondern auch nach Deutschland abgeschoben, an den Grenzen schon von der Gestapo erwartet. Mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion ändert sich das Bild erneut. Jetzt gelten Deutsche entweder als Saboteure. Oder sie werden als Agitatoren an der Front und in Gefangenenlagern gebraucht.

Den Terror im Gepäck
Von den rund 5.000 kommunistischen Emigranten in der Sowjetunion kehren nach Kriegsende rund 1.400 in die DDR zurück. Ausgewählt und geschult von sowjetischen Instrukteuren, drängen sie in die Führungspositionen der sowjetischen Besatzungszone, der neu gegründeten SED und später der DDR. Sie stehen dabei zunächst in Konkurrenz zu den überlebenden Kommunisten aus den deutschen Konzentrationslagern. Die Moskauer nutzen ihre Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht und den Zugriff auf KZ-Akten, um belastendes Material zu finden, das die innerparteiliche Konkurrenz aus dem Weg räumt oder erpressbar macht. So hat ein kommunistischer Krankenhelfer und späterer Generalmajor der Staatssicherheit im KZ Buchenwald im Parteiauftrag missliebige Mithäftlinge beseitigt. Zusätzlichen Rückenwind gibt den Moskauern die massenhafte Übernahme nationalsozialistischer Mitläufer in die SED, von denen keine Kritik zu erwarten ist.

Die von der Sowjetunion installierte SED- und DDR-Führung folgt penibel jeder Instruktion aus Moskau und macht jeden Schwenk mit.  Täter wie Opfer unter den zurückgekehrten Kommunisten schweigen über die von ihnen zugefügten oder von ihnen erlittenen Repressalien – aus Angst, Parteidisziplin und aus einem Glauben heraus, in dem die Partei längst die Religion ersetzt.

Die Geschichte und Wirkung des stalinistischen Terrors sind schon durch Werke wie Orlando Figes’ “Tragödie eines Volkes”  und “Die Flüsterer” dokumentiert. Es ist Petersens Verdienst, die Schreckensherrschaft am Beispiel der deutschen Emigranten auf die Gründungsgeschichte der DDR zu projizieren. Aus den vielen Einzelschicksalen ergibt sich das Bild einer traumatisierten Clique, angsterfüllt und notorisch misstrauisch gegen die eigenen Genossen.

Heinrich Greif, Schauspieler und als Politemigrant Chefsprecher der deutschsprachigen Sendungen von Radio Moskau, brachte es bereits 1935 auf den Punkt: “Auch für die Russen ist die Revolution vermasselt. Wir sagen es ihnen bloß nicht, und sie sagen es uns nicht. Die Welt hat sich so schön daran gewöhnt, dass in Russland Sozialismus ist, man darf die Welt nicht enttäuschen. Pst!”

Das Buch erscheint dieser Tage bei Fischer, hat 361 Seiten und kostet 24 Euro.

 

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