Eine Studie vergleicht erstmals Auffassungen der Nachwendegeneration in Ost und West. Viele Meinungen sind ähnlich. Größere Unterschiede gibt es bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage der eigenen Region, des Umgangs mit Ostdeutschen nach der Wende sowie der Gerechtigkeit der Gesellschaft.

Die Studie heißt “Im vereinten Deutschland geboren – in den Einstellungen gespalten?”. Entstanden ist sie im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung der Gewerkschaft IG Metall. Die Wissenschaftler haben dafür gut 2000 Teilnehmer online befragt, die heute zwischen 18 und 29 Jahre alt sind. Mit 30 der Befragten wurden außerdem vertiefende Interviews geführt. Ost und West blicken demnach gleichermaßen optimistisch in die eigene Zukunft – 65 Prozent im Westen, 63 Prozent im Osten. Männer sind dabei etwas optimistischer als Frauen, Ostfrauen optimistischer als Frauen im Westen. Der Grundoptimismus wird aufgeweicht, wenn es um die wirtschaftliche Lage der Region geht. 59 Prozent der Ostdeutschen schätzen die wirtschaftliche Lage ihrer Region als gut ein. Im Westen sind es 74 Prozent. Demzufolge sehen auch nur 46 Prozent der Ostdeutschen der Nachwendegeneration in der eigenen Region gute Chancen für sich gegenüber 57 Prozent der jungen Westdeutschen.

Was Politik und Gesellschaft betrifft, sind junge Ostdeutsche seltener als junge Westdeutsche mit den Leistungen der Demokratie zufrieden (51 zu 58 Prozent). Ostler haben zudem seltener als Westler den Eindruck, dass es in der Gesellschaft gerecht zugeht (41 zu 53 Prozent). Der Aussage “Die Menschen in Ostdeutschland wurden nach der Wiedervereinigung oft unfair behandelt” stimmen 77 Prozent der Ostdeutschen zu (oder eher zu), im Westen 51 Prozent. Negative Erfahrungen sind im Osten noch stark präsent. Die Frage, ob es immer noch einen Unterschied macht, ob jemand aus Ost- oder Westdeutschland kommt, beantworten 57 Prozent der Westdeutschen mit nein, aber knapp zwei Drittel der Ostdeutschen mit ja.

Am meisten wird in Ost wie West der Polizei vertraut, am wenigsten den politischen Parteien. 33 Prozent der westdeutschen und 43 Prozent der ostdeutschen Nachwendegeneration äußern, es mache politisch keinen Unterschied, welche Partei man wähle. Geht es um Fragen der Einwanderung, bevorzugen 62 Prozent der westdeutschen und mit 56 Prozent auch eine Mehrheit der ostdeutschen Nachwendegeneration ein weltoffenes, tolerantes Land gegenüber einer traditionellen Werten verpflichteten christlich-abendländischen Kultur. “Bei der Frage, ob Deutschland Einwanderung als Chance für das Land begreifen sollte, zeigen sich die jungen Westdeutschen maximal polarisiert”: 49 Prozent sehen eine Chance, 48 Prozent keine. Im Osten gibt es 54 Prozent Chancen-Verneiner und 43 Prozent Befürworter.

Einen starken Führer, “der sich nicht um Parlamente und Parteinen kümmern muss”, befürworten im Westen 23, im Osten 26 Prozent. Interessant wird’s hier auch, wenn die Wahlabsichten einfließen. 41 Prozent der AfD-Wähler im Westen und 50 Prozent im Osten sind einem Führer zugeneigt.

Die sehr lesenswerte Studie bietet noch viel mehr spannende Einblicke: zur Emanzipation der Frau, zur regionalen Verbundenheit, zur Einschätzung des Klimawandels. Es geht um Stadt und Land, um Gespräche über die Wende, um die Lage der Eltern, um Wendeverlierer und Wendegewinner. Manches ist überraschend nah am Klischee, zum Beispiel wenn 30 Prozent der FDP-Wähler im Westen die wirtschaftliche Lage in Deutschland als „sehr gut“ bewerten. Oder wenn im Westen 69 und im Osten 75 Prozent der jungen AfD-Wähler meinen, die Demokratie funktioniere nicht gut. Anderes überrascht, so das verbreitete geringe Vertrauen in die eigene Argumentationsfähigkeit, in der Studie “politisches Selbstbewusstsein” genannt: Im Osten trauen sich sich 50 Prozent nicht zu, sich an einem Gespräch über politische Fragen zu beteiligen, im Westen 42 Prozent. Dabei sind Ost- wie Westdeutsche annähernd gleich an Politik interessiert (64 und 62 Prozent).

Wo Unterschiede noch als “Mauer in den Köpfen” erscheinen, hat das viel mit nicht gleichwertigen Lebenslagen und unterschiedlichen regionalen Perspektiven zu tun. Hier kann die Politik ansetzen. Wie hat schon Fontane den alten Stechlin sagen lassen: “Der Teufel is nich so schwarz, wie er gemalt wird, und die Telegraphie auch nicht, und wir auch nicht.”

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