Wie sehen sich die Deutschen – und wie werden sie von anderen Nationen gesehen? Als gewissenhaft, innerlich, treu und tapfer? Oder als larmoyant, überheblich und sich ständig benachteiligt fühlend? Und welche Folgen haben diese Wahrnehmungen für Europa?
Der Historiker Andreas Rödder erzählt in seinem Buch die Geschichte Deutschlands in Europa. Dabei dröselt er die Diskrepanz zwischen Selbstbildern und Außenwahrnehmung auf, die zu Krisen und Kriegen geführt hat. Auch heute wirken diese Widersprüche fort. Einerseits werde von Deutschland politische Führung erwartet. Die dem Land andererseits als Hegemonie ausgelegt werde, sobald die Beschlüsse nicht den Erwartungen entsprächen.
Rödder findet drei Konstanten der Außenwahrnehmung Deutschlands: zum einen die Vorstellung von zwei unterschiedlichen Deutschlands („Kant und Bismarck“ als Gegensätze). Zum anderen die Wahrnehmung der deutschen Stärke und das Gefühl einer Bedrohung durch einen deutschen Vormachtsanspruch. Und drittens den Eindruck, die Deutschen seien unberechenbar – wenn sie zum Beispiel in der Euro-Schuldenkrise auf die Einhaltung geltenden Rechts bestehen, bei der Flüchtlingskrise das Recht hingegen beiseite lassen. Für den Umgang mit diesen Ängsten empfiehlt er eine Balance aus Realpolitik und Rücksichtnahme. Das reicht von der Durchbrechung des Teufelskreises aus Opfergeschichten (wo Deutsche sich als Zahlmeister Europas sehen, glauben Griechen, alle Schuld an den Problemen ihres Landes trügen die Deutschen) bis zu einem Europa à la carte, das einem Einheitsbrei die Möglichkeiten vielfältiger Kooperation vorzieht.
Rödder analysiert auch die Unterschiede in der Selbstwahrnehmung und Geschichtskultur West- und Ostdeutschlands: Nach 1945 haben „die Bundesdeutschen“ Außenwahrnehmungen von Deutschland übernommen, die zuvor nur eine Minderheit der Deutschen geteilt hatte, wie die kritische Vorstellung eines preußisch-deutschen Militarismus und Autoritarismus. In den 80er Jahren hat sich eine Geschichtskultur etabliert, die auf befreiender Abkehr von der eigenen Geschichte statt auf identitätsstiftender Kontinuität beruht. Bei dieser “Ankunft im Westen” nehmen sich zumindest die Eliten stärker als in den meisten anderen Ländern als Europäer wahr.
Den umgekehrten Weg sieht Rödder in der DDR: Gegründet gegen die preußischen Traditionen und das nationale Erbe, eignete sich die DDR seit den siebziger Jahren die preußische Geschichte wieder an, auch im Versuch, unter Berufung auf deren fortschrittliche Teile eine eigene sozialistische Nation zu begründen. Die Idee der Nation war deshalb 1989 in der DDR präsenter als im Westen: “Deutschland, einig Vaterland”.
Und wie fühlen Sie sich? Als Leipzigerin, Sächsin, Ostdeutsche, Deutsche, Europäerin? Und warum klemmen die Schubladen bloß immer so?
Das Buch ist 2018 bei Fischer erschienen, hat 368 Seiten und kostet 20 Euro.
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