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Matrosenaufmarsch, Foto: Bundesarchiv, Bild 183-G1102-0003-001 / Robert Sennecke / C-BY-SA 3.0. CC BY-SA 102-0003-001 / Robert Sennecke / Public domain

In der DDR ein Pflichttermin für die SED und für viele Herzenssache. 1989 dann für Dissidenten der Anlass, mit einem Luxemburg-Zitat an die “Freiheit der Andersdenkenden” zu erinnern: die Gedenkfeiern für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg an den Jahrestagen ihrer Ermordung. Dieses Jahr jährt sich am 15.1. der Todestag der KPD-Gründer zum hundertsten Mal. Stimme der DDR ordnet die historischen Ereignisse ein.

Auf dem Weg in die Kriegsniederlage

Deutschland ist 1918 dabei, den ersten Weltkrieg zu verlieren. Zwar gelingt es dem Kaiserreich im März 1918, dem revolutionsgeschwächten Russland den Separatfrieden von Brest-Litowsk aufzuzwingen. Russland geht dabei 1/3 seiner Bevölkerung und 90 Prozent der Kohlevorkommen verlustig. Die Frühjahrsoffensive Deutschlands an der Westfront gerät aber zum Misserfolg. Die deutschen Truppen müssen unter hohen Verlusten auf breiter Front zurückweichen, so dass die Oberste Heeresleitung dem Kaiser im August erstmals zu einem Verhandlungsfrieden rät. Deutschland hofft dabei auf Unterstützung durch die USA und auf das maßvolle 14-Punkte-Programm Präsident Wilsons. Noch im Januar 1917 hatte sich Wilson für einen Frieden ohne Sieger und Besiegte ausgesprochen. Seit April sind die USA aber selbst Kriegspartei auf Seiten der Allierten – eine Reaktion auf den uneingeschränkten U-Boot-Krieg Deutschlands, bei dem nicht nur Kriegsschiffe, sondern ohne Vorwarnung auch Handelsschiffe mit Zivilisten an Bord torpediert werden.

Regierungsumbildung und Friedensangebot
Am 3. Oktober wird Max von Baden Reichskanzler einer Mehrparteienregierung, zu der als Staatssekretär ohne Geschäftsbereich auch Philipp Scheidemann von der Mehrheitssozialdemokratischen Partei Deutschlands (MSPD) gehört. So nennt sich die SPD, nachdem Kriegsgegner aus ihren Reihen 1917 die USPD gegründet haben, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei. MSPD-Chef Friedrich Ebert will durch die Regierungsbeteiligung einen Friedensschluss und die Demokratisierung des Kaiserreichs erreichen und eine Revolution nach russischem Vorbild vermeiden. Bereits am ersten Tag seines Amtes ersucht von Baden die USA (und nur diese) um die Beendigung der Feindseligkeiten. Wilson weist darauf hin, dass sich die Alliierten nicht entzweien lassen, besteht darauf, ausschließlich mit “glaubwürdigen Repräsentanten des deutschen Volkes Gespräche zu führen” und fordert zunächst indirekt und dann direkt eine Abdankung des Kaisers.

Die Revolution bricht los
Die kaiserliche Marine hat die Faxen und die Untätigkeit dicke. Sie beschließt Ende Oktober, auszulaufen und der englischen Flotte einen letzten Kampf zu liefern, notfalls bis zum “ehrenvollen Untergang”. Die Matrosen allerdings wollen nicht kurz vor dem Ende des Krieges sinnlos untergehen. Sie verweigern den Befehl und finden an Land Unterstützung, zum Beispiel in Kiel durch Gewerkschafter und Mitglieder der USPD. Am 3. November stoßen dort Demonstranten auf eine von Kadetten und Rekruten errichtete Straßensperre. Die Soldaten eröffnen das Feuer, sieben Demonstranten sind sofort tot, zwei weitere erliegen später ihren Verletzungen. Die Aufständischen werden dadurch weiter politisiert. Ein nach Vorbild der russischen Revolution gebildeter Soldatenrat beschließt 14 Forderungen, darunter die Abdankung des Kaises, die Aufhebung der Pressezensur und eine Wahlrechtsreform mit Einführung des Frauenwahlrechts. Auch an anderen Marinestandorten und schließlich im ganzen Reich kommt es zu Demonstrationen, in Hamburg, München und vielen weiteren Großstädten übernehmen Arbeiter- und Soldatenräte die Macht. Kaiser Wilhelm II. ist bereits aus Berlin geflohen und seit dem 29. Oktober im Hauptquartier des deutschen Heeres im belgischen Spa. Er überlegt, an der Seite kaisertreuer Truppen auf die Hauptstadt zu marschieren, um die Revolution niederzuwerfen, findet bei den Truppenkommandeuren dafür aber keine Unterstützung.

Wilhelm II. tritt zurück
In Berlin versucht der örtliche Militärkommandant, Versammlungen anlässlich des Jahrestags der russischen Revolution zu unterbinden. Er verbietet die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten und beordert zusätzliche als kaisertreu geltende Truppen in die Stadt. Die MSPD reagiert. Sie fordert die Abdankung des Kaisers und die Aufhebung des Versammlungsverbots, will aber zunächst den Abschluss eines Waffenstillstands an der Westfront abwarten. Nach der Verhaftung eines USPD-Funktionärs beginnen am Morgen des 9. November Großdemonstrationen bewaffneter Arbeiter und Soldaten sowie ein Generalstreik. In Berlin stationierte Truppen leisten keinen Widerstand und solidarisieren sich mit den Demonstranten. Die Polizei hält sich ebenfalls zurück. Die MSPD reagiert auf die Kundgebungen: Scheidemann verlässt die Regierung. Reichskanzler Max von Baden wird gegen elf Uhr aus Spa mitgeteilt, der Kaiser habe sich zum Rücktritt entschlossen. Nachdem die Formulierung der Abdankung auf sich warten lässt und der Kaiser nicht erreichbar ist, verkündet von Baden gegen Mittag die Abdankung Wilhelms als Kaiser und als preußischer König. Bei einen Besuch Eberts bietet von Baden diesem das Amt des Reichskanzlers an. Ebert willigt ein.

Lang lebe die Republik! Aber welche?
Kurz vor drei Uhr am Nachmittag spricht Scheidemann zu Demonstranten vor dem Reichstag. Er ruft die Republik aus, kündigt an, dass der neuen Regierung alle sozialistischen Parteien angehören werden und fordert zu Ruhe, Ordnung und Sicherheit auf. Knapp zwei Stunden später verkündet Karl Liebknecht (USPD) vom Balkon des Stadtschlosses die “freie sozialistische Republik Deutschland”. Sein Aufruf gilt nicht der Ordnung, sondern der Vollendung der Weltrevolution. Am Abend besetzen Revolutionäre Obleute als Vertreter von Arbeitern aus Berliner Großbetrieben den Reichstag. Sie fordern die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten in den Betrieben und Militäreinheiten, die wiederum eine Revolutionsregierung wählen sollen. Die am folgenden Tag stattfindende Versammlung dieser Räte stellt sich mehrheitlich auf die Seite Eberts. Ebert bildet als sein neues Kabinett den Rat der Volksbeauftragten, paritätisch aus je drei MSPD- und drei USPD-Männern. Die Räteversammlung gründet als Kontrollorgan einen ebenfalls paritätisch besetzten Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte. Dieser will für  Dezember einen Reichsrätekongress einberufen.

Im Westen was Neues
Während in Berlin demonstriert wird, versucht Matthias Erzberger (Zentrumspartei) als deutscher Chefunterhändler im Auftrag Max von Badens einen Waffenstillstand im Westen zu vereinbaren. Von der Abdankung des Kaisers erfährt Erzberger zufällig von französischen Gleisarbeitern. Die Waffenstillstandsbedingungen der Alliierten gleichen einem unverhandelbaren Ultimatum. Deutschland soll seine Truppen aus noch besetzten Gebieten in Frankreich, Belgien und Luxemburg abziehen, Elsass-Lothringen aufgeben und den Vertrag von Brest-Litowsk annullieren. Die komplette Hochseeflotte sowie weiteres Kriegsmaterial sei den Alliierten zu übergeben. Weitere Forderungen bleiben einem offiziellen Friedensvertrag vorbehalten. Erzberger erreicht geringfügige Verbesserungen, wie einen “ehrenvollen Abzug” der Truppen aus Ostafrika sowie einen langsameren Rückzug aus Osteuropa – die Alliierten wollen vermeiden, dass sich dort die russische Revolution ausbreitet. Am 11. November unterschreibt Erzberger unter Protest gegen die harten Bedingungen den Waffenstillstandsvertrag. Der erste Weltkrieg ist im Westen zu Ende.

Den Frieden gestalten

Die Regierung Ebert steht vor riesigen Herausforderungen: die Demobilisierung von sechs Millionen Soldaten, die Umstellung auf Friedenswirtschaft, die Wahl einer verfassungsgebenden Nationalversammlung. Ebert lässt sich von der Obersten Heeresleitung unter General Groener versichern, dass die Streitkräfte loyal zur Regierung stehen. Er verspricht dem Heer, seinerseits gegen linke Umsturzversuche vorzugehen. Vertreter großer Unternehmen und von Gewerkschaften vereinbaren am 15. November ein Abkommen, das unter anderem Tarifverträge, den Achtstundentag und Arbeitnehmervertretungen bei mehr als 50 Beschäftigten vorsieht – der Anfang der heutigen Betriebsräte. Damit will die Industrie auch Enteignungen und Umverteilung zuvorkommen.

Nationalversammlung oder Räteregierung
Ruhe, Ordnung und Sicherheit – oder doch lieber Weltrevolution? Diese Frage treibt Deutschland um. Die Regierung Ebert arbeitet lieber mit der alten Verwaltung als mit den Räten zusammen, da sie diesen nicht zutraut, die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Aus Sorge über den Reichsrätekongress beordert Ebert Truppen nach Berlin. Eines der Regimenter feuert am 6. Dezember auf eine unbewaffnete Demonstration und tötet dabei 16 Menschen. Die Angst Eberts vor dem Kongress erweist sich als unnötig: Die am 16. Dezember beginnende Versammlung wird von Sozialdemokraten dominiert, stimmt gegen die Schaffung eines Rätesystems und befürwortet Wahlen zur Nationalversammlung. Weil der Kongress über einen von ihm gewählten Zentralrat ein Mitspracherecht bei den Streitkräften fordert, fühlt das Militär sich hintergangen und beginnt mit der Bildung von Freikorps aus konservativ gesinnten Offizieren und Soldaten.

Blutvergießen zu Weihnachten

Im Berliner Stadtschloss ist die als revolutionär geltende Volksmarinedivision stationiert. Der Rat der Volksbeauftragten hält sie für eine bolschewistische Bedrohung und macht sie für das Verschwinden von Kunstschätzen verantwortlich. Er will die Division verkleinern und letztlich auflösen. Der Stadtkommandant von Berlin, Otto Wels (MSPD,) behält als Druckmittel den Sold zurück, ausgerechnet vor Weihnachten. Die Matrosen lassen sich das nicht gefallen und arretieren Wels am 23. Dezember. Reichskanzler Ebert ruft ohne Rücksprache mit den USPD-Ministern das Heer. Die dem Polizeipräsidenten von Berlin Emil Eichhorn unterstellte Sicherheitswehr, eine aus Soldaten gebildete Verstärkung der Polizei, kommt bei den blutigen Kämpfen am Heiligabend der Volksmarinedivision zur Hilfe. Die Regierungstruppen verlieren. Die Matrosen erhalten ihren Sold und lassen Wels frei, der von seiner Funktion des Stadtkommandanten entbunden wird.

Aus Protest gegen Eberts Maßnahme und deren spätere Billigung durch den Zentralrat verlassen die USPD-Minister Ende Dezember die Regierung. Neuer Volksbeauftragter für Heer und Marine wird Gustav Noske (MSPD).

Die Gründung der KPD
Auf der linken Seite des politischen Spektrums gründet sich im November 1918 der Spartakusbund; seine Vorgänger-Organisation Spartakusgruppe gehörte zur USPD und will jetzt die organisatorische Eigenständigkeit. An dessen Spitze: Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, beide Jahrgang 1871. Liebknecht ist der Sohn des SPD-Mitbegründers Wilhelm Liebknecht. Der Rechtsanwalt und Reichstagsabgeordnete der SPD stimmt als zunächst einziger seiner Fraktion gegen die Kriegskredite.  Sein stetes Eintreten gegen den Krieg führte zu einer Verurteilung wegen Hochverrat, nach knapp zwei Jahren wird er am 23. Oktober aus dem Gefängnis Luckau (heute Land Brandenburg) entlassen. Viel Erfahrung mit Gefängnissen hat auch Rosa Luxemburg. Am 9. November wird sie aus dem Zuchthaus Breslau entlassen, wo sie zur “Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit des Reichs” in Sicherungsverwahrung war. Zusammen mit Karl Liebknecht gibt die in Rechtswissenschaften promovierte Intellektuelle jetzt eine neue Tageszeitung heraus: “Die Rote Fahne”. Die Zeitung propagiert die Positionen des Spartakusbunds: die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und eine gesamtdeutsche Räterepublik. Am 1. Januar 1919 gründen der Spartakusbund und weitere linkssozialistische Gruppen die KPD. Rosa Luxemburg wirbt auf dem Gründungsparteitag für eine Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung, findet dafür aber keine Mehrheit.

Aufstand von links
Die Weihnachtskämpfe haben Folgen: Ebert setzt am 4. Januar den Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn wegen dessen Unterstützung der Volksmarinedivision ab. Er beauftragt Noske damit, weitere Truppen und Freikorps nach Berlin zu holen. Das Beispiel Russlands hat gezeigt, dass wenige, aber entschlossene Revolutionäre ausreichen, um eine Regierung zu stürzen. Dem wollen Ebert und Noske vorbeugen. Dass ihre Angst nicht unbegründet ist, zeigt sich auch darin, dass Lenins Vertrauter Karl Radek sich illegal in Deutschland aufhält, um die Möglichkeit einer Revolution nach bolschewistischem Muster auszuloten.

Die Revolutionären Obleute nehmen die Ausbootung Eichhorns nicht hin. Sie wollen die Regierung Ebert mit einem Generalstreik stürzen und besetzen mehrere Zeitungsgebäude in Berlin, darunter den sozialdemokratischen Vorwärts. Liebknecht tritt in die Streikleitung ein, KPD und USPD rufen zur Volksbewaffnung auf. Am 5. Januar demonstrieren 100 000 Menschen in Berlin gegen Eichhorns Absetzung. Auf den Straßen Berlins kommt es zu Schießereien. Mit dem Ausspruch “Einer muss der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht!” übernimmt Noske den Oberbefehl über die Regierungstruppen in Berlin. Er setzt dabei auch auf fanatisierte Freikorps. Sie geben der Revolution die Schuld an der Niederlage Deutschlands im Krieg und suchen eine Möglichkeit der Abrechnung. Am 11. Januar stürmen die paramilitärischen Verbände das Zeitungsviertel, ermorden fünf Besetzer, die über einen Abzug verhandeln wollen, und zwei zufällig anwesende Kuriere. Bei Straßenschlachten sterben 200 Menschen, 400 werden festgenommen. Am 12. Januar ist der letzte Widerstand gebrochen.

Der Mord an Liebknecht und Luxemburg

Liebknecht und Luxemburg sind wegen ihrer ablehnenden Haltung zum Krieg bei den Offizieren und Freikorps besonders verhasst. Bereits seit Anfang Dezember fordern Plakate der rechtsradikalen Antiboschewistischen Liga den Mord an den Spartakisten: “Schlagt ihre Führer tot! Tötet Liebknecht! Dann werdet ihr Frieden, Arbeit und Brot haben! Die Frontsoldaten”.

Nach den Januar-Demonstrationen verbergen sich Luxemburg und Liebknecht in wechselnden Wohnungen. Am Abend des 15. Januar durchsucht eine Bürgermiliz ihr Wilmersdorfer Versteck. Sie verhaftet die beiden KPD-Führer und später auch Wilhelm Pieck. Die Miliz informiert darüber per Anruf die Reichskanzlei und übergibt die Gefangenen der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, einer Einheit des alten kaiserlichen Heeres, die ihr Hauptquartier im Nobelhotel Eden aufgeschlagen hat. Ihr amtierender Kommandeur ist Hauptmann Waldemar Pabst. Liebknecht wird verhört, mit Gewehrkolben misshandelt, niedergeschlagen, von einer Gruppe Militärs in den nahen Tiergarten gefahren und dort mit mehreren Schüssen ermordet. Die Leiche übergeben die Täter als angeblich unbekannten Toten der Rettungswache am Bahnhof Zoo. Dann wird Luxemburg aus dem Hotel geführt, ebenfalls mit einem Gewehrkolben ins Gesicht geschlagen, blutend in ein Auto geworfen und nach kurzer Fahrt mit einem Schuss in den Kopf getötet. Ihre Leiche werfen die Täter werfen von einer Brücke in den Landwehrkanal, wo sie im Mai 1919 gefunden wird. Pabst verbreitet ein Kommuniqué, dem zufolge Liebknecht auf der Flucht erschossen und Luxemburg von einer Menge getötet worden sei.

Wilhelm Pieck, dem späteren Präsidenten der DDR, gelingt nach eigenen Angaben bei der Überstellung in ein Gefängnis die Flucht. Pabst hingegen behauptet, zum Beispiel 1962 in einem Interview mit dem Spiegel, er habe ihn freigelassen, nachdem Pieck ihm militärische Pläne und Aufenthaltsorte von Spartakisten verraten habe. Am 25. Januar begleiten 100 000 Menschen den Trauerzug, der Liebknecht und weitere 31 ermordete Spartakisten zu Grabe trägt. Für Rosa Luxemburg ist symbolisch ein leerer Sarg dabei.

Pabst schreibt in einer späteren Notiz, er hätte die Aktion ohne Noskes Billigung (“mit Ebert im Hintergrund”) gar nicht durchführen können.  “Als Kavalier habe ich das Verhalten der damaligen SPD damit quittiert, daß ich 50 Jahre lang das Maul gehalten habe über unsere Zusammenarbeit.” Auch Pieck erinnert sich, Zeuge eines Telefonats Pabsts mit der Reichskanzlei geworden zu sein. Beweise dafür gibt es keine.

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19.1.1919 wird die SPD mit 37,9 Prozent stärkste Partei, die USPD erhält 7,6 Prozent.

Schuld und Sühne
Die Mörder werden gerichtlich zunächst nicht belangt. Nachdem die KPD eigene Ermittlungen anstellt, kommt es zu einem Militärgerichtsprozess, bei dem zwei der an Liebknechts Ermordung Beteiligten zu geringen Gefängnisstrafen verurteilt werden, die sie nicht antreten müssen. Ein Berufungsverfahren spricht sie schließlich ganz frei. Für die Ermordung Luxemburgs übernimmt ein Oberleutnant die Verantwortung, der den eigentlichen Täter, mutmaßlich Leutnant Hermann Wilhelm Souchon, deckt. Der Oberleutnant wird zu zwei Monaten und vier Jahren Haft verurteilt. Ein Beisitzer des Gerichts holt ihn aber bereits drei Tage nach der Urteilsverkündung aus dem Gefängnis und verhilft ihm zur Flucht nach Holland. Der Beisitzer ist Kapitänleutnant Wilhelm Canaris, später Abwehrschef im Oberkommando der Wehrmacht und als Verschwörer gegen Hitler gehenkt. Jäger Otto Runge, der Mannschaftsdienstgrad, der den wohl ungeplanten, da öffentlich erfolgten Kolbenhieb gegen Luxemburg führte, wird zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Ob er ebenfalls ins Ausland flieht, lässt sich nicht klar belegen.

Der für den Mord verantwortliche Offizier Pabst wird nie angeklagt. Er startet im Juli 1919 einen erfolglosen Putschversuch, beteiligt sich 1920 am Kapp-Putsch, ist seit den Tagen des Hitler-Putsches 1923 mit Hermann Göring befreundet, wird später Direktor der Firma Rheinmetall und Waffenhändler. Er stirbt wohlhabend und von der Justiz unbehelligt 1970 in der Bundesrepublik.

Die Morde an Liebknecht und Luxemburg sind Teil einer Gewaltspirale, der 1921 auch der Unterzeichner des Waffenstillstands Matthias Erzberger zum Opfer fällt. Auch seine beiden rechtsradikalen Mörder werden zunächst nicht belangt. Einen der Täter spricht dann 1947 ein deutsches Gericht unter Bezug auf ein Nazigesetz frei. Der Freispruch wird durch ein französisches Hohes Gericht aufgehoben; schließlich erhalten die Täter Freiheitsstrafen von 15 und 12 Jahren, werden aber bereits 1952 vorzeitig entlassen.

Feindliche Brüder
Die Januarereignisse sorgen für die endgültige Spaltung der sozialistischen Bewegung in Deutschland. Ebert und die MSPD glauben, Deutschland vor dem Bolschewismus gerettet zu haben. Die KPD und linke Teile der USPD geben den Sozialdemokraten die politische Mitschuld an den Morden. Die einen fürchten linken Terror und Bürgerkrieg, die anderen fühlen die Revolution an den Klassenfeind verraten.

Der Rest ist Konjunktiv: Wäre der Aufstand der KPD erfolgreich gewesen, wäre Deutschland womöglich zu einem Gulag nach Stalins Muster geworden – oder von den Alliierten besetzt worden. Wäre die KPD nicht durch die Morde weiter radikalisiert worden, hätte eine stabilere Weimarer Republik vielleicht dem Nationalsozialismus widerstanden.

Lesetipp:
Robert Gernwarth, Die größte aller Revolutionen. November 1918 und der Aufbruch in eine neue Zeit, Siedler-Verlag 2018
Volker Ullrich, Die nervöse Großmacht 1871 – 1918. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs, Fischer 2013

 

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