Foto: Philip Manow

In Europas Norden und Mitte haben rechtspopulistische Parteien Zulauf, wie der französische Front National, die Schwedendemokraten und die AfD. In Südeuropa scheinen Linkspopulisten auf dem Vormarsch, wie Podemos in Spanien oder Syriza in Griechenland. Ist Südeuropa weniger fremdenfeindlich als der Norden? So einfach ist das nicht, sagt Philip Manow, Professor am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen. Er sieht die Ursachen vor allem in den unterschiedlichen Wirtschaftsmodellen der Länder.

Herr Professor, Ihr Kollege aus den Rechtswissenschaften Wladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt als Lenin, hat die simple Gleichung aufgestellt: Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes. Das klang griffig, war aber ein Trugschluss. Haben Sie eine stimmige Gleichung für die Globalisierung? Vielleicht freier Waren- und Kapitalverkehr plus Migration, multipliziert mit Digitalisierung?
Mit der Definition ‘Globalisierung = freier Waren- und Kapitalverkehr plus Migration’ kann ich mich sofort anfreunden – das ist eine gute Arbeitsgrundlage. Digitalisierung ist ja eher ein Prozess, der alles ändert, also nicht per se als eigenständiger Globalisierungsfaktor zu verstehen ist.

Ihr Buch “Die Politische Ökonomie des Populismus” macht die Ursachen für den Ausschlag des Populismus-Pendels nach links oder rechts an der Wirtschaft der jeweiligen Länder fest. Worin besteht dieser Zusammenhang?
SEHR vereinfacht gesprochen folge ich einer These des US-Ökonomen Dani Rodrik, der Populismus als Protest gegen Globalisierung deutet. Dieser Protest artikuliert sich dann eher rechts, wenn die Globalisierung als Migration erscheint, und eher links, wenn es um die grenzüberschreitende Bewegung von Gütern und Kapital geht. Das hat insofern etwas mit den jeweiligen Wirtschafts- und Wohlfahrtsstaatsmodellen zu tun, als einige Länder – auch und gerade aufgrund sehr großzügiger Wohlfahrtsstaatlichkeit – mit einem liberalen, offenen Außenhandelsregime kein Problem haben, aber dann eben mit Migration. Hierunter fallen die Länder wie Deutschland oder die skandinavischen Länder. Die Wirtschaftsmodelle anderer Länder hingegen haben sehr wohl große Probleme mit freiem Waren- und Kapitalverkehr, weil sie eher für den Binnenmarkt produzieren. Dann wirken Billig-Importe als die größere Bedrohung im Vergleich zu Migration, auch weil der Wohlfahrtsstaat wenig entwickelt ist. Das sind insbesondere die Länder Südeuropas. In den ersten finden wir dann einen erstarkenden Rechtspopulismus, in der zweiten Ländergruppe eher Linkspopulismus. Das ist meine Erklärung für das ganz offensichtliche geographische Muster des populistischen Protests, das wir in Europa sehen.

Warum sind dann osteuropäische Länder wie Ungarn oder Polen ebenfalls so migrationsskeptisch?
Die ost- und mitteleuropäischen Länder, und das trifft ja auch für das Gebiet der ehemaligen DDR zu, sind natürlich nach 1990 ökonomisch und sozial ganz heftig durchgeschüttelt worden. Das hat auch, etwa in der Landwirtschaft oder in den ehemaligen Zentren der Schwerindustrie, zahlreiche Transformationsverlierer hervorgebracht. In der Reaktion auf diese heftigen Änderungsprozesse bildet sich anscheinend etwas aus, was Kollegen von mir einen ‘defensiven Nationalismus’ genannt haben. Ich denke, das trifft etwas Wesentliches. Man hat erstmal genug gesellschaftliche Verwerfungen erlebt und will sich nicht unbedingt noch zusätzliche aufhalsen. Wenn man Ivan Krastev glaubt, ist die Betonung des Nationalen ja zum Teil auch noch allergische Reaktion auf einen von oben verordneten Kosmopolitismus des staatsoffiziellen Kommunismus.

In Deutschland empfinden es viele Menschen als ungerecht, dass sie nach Jahren des Einzahlens in die Sozialkassen bei längerer Arbeitslosigkeit finanziell kaum mehr zu erwarten hätten als Flüchtlinge. Die SPD rückt vorsichtig von Hartz IV ab. Reicht das, um verlorene Wählerstimmen zurückzugewinnen? Oder wollen Wähler neben mehr Geld auch klare gesellschaftliche Projekte?
Ich bin Politikwissenschaftler, nicht Politiker – und will auch gar nicht tauschen. Insofern will ich mich auch mit Ratschlägen zurückhalten. Nach meiner Einschätzung kann man jedoch Vertrauen, das man migrationspolitisch verloren hat, nicht einfach sozialpolitisch wiedergewinnen.

In Ostdeutschland schwingen bei Wahlentscheidungen zusätzlich die erlebte Deindustrialisierung mit, verletzter Stolz und mangelnde Repräsentanz  in den Eliten der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung.  Die Wortführer aus der AfD haben zumeist westdeutsche Biografien. Warum werden sie im Osten trotzdem gewählt?
Angela Merkel ist ja auch insbesondere im Osten in weiten Kreisen nicht mehr sonderlich gut gelitten – Wähler wählen also eher nicht nach Herkunft, sondern danach, wer für sie spricht oder von wem sie denken, dass er oder sie für sie spricht. So kann auch Trump als Multi-Millionär und New Yorker Immobilienhai doch von größeren Teilen einer white working class als authentischer Vertreter ihrer Interessen wahrgenommen werden. Und das braucht man ja auch nicht als Selbsttäuschung oder als paradox abzutun.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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