Die Volksbühne ist wieder ein Theater. Am Wochenende gastierte das Schauspielhaus Bochum mit “Volksverräter!!”, einem Stück nach Henrik Ibsen in der Bearbeitung Hermann Schmidt-Rahmers. Eine sehenswerte Aufführung, die viel will und viel erreicht und doch daran scheitert, an Vorurteilen zu rütteln.
Schmidt-Rahmer hat Ibsens 1883 uraufgeführtes Drama “Ein Volksfeind” in die Jetztzeit verlegt – als Kommentar zu einer demagogischen Neuen Rechten auf der einen und einer abgehobenen Wohlstands-Linken auf der anderen Seite. Der Einstiegsmonolog zitiert ein AfD-Wahlprogramm, das fordert, die Bühnen sollten immer auch Stücke deutscher Autoren spielen, und zwar auf eine Art, “dass sie zur Identifikation mit unserem Land anregen.” Was sich leider als unmöglich erwiesen habe. Deshalb also “Volksverräter!!” Die Handlung: Der Badearzt eines Kurorts (Roland Riebeling), politisch rechts, stellt die Verseuchung des Heilwassers (sic!) durch eine braune Brühe fest und schlägt Alarm. Seine Schwester hat als linke Bürgermeisterin den Kurort zur Blüte geführt und versucht, im Interesse von Steuereinnahmen, Arbeitsplätzen und Wiederwahl den Skandal zu vertuschen.
Meine, deine, ihre Fakten
Es kommt so, wie man’s aus dem Fernsehen oder womöglich aus eigenem Erleben kennt – empörte Bürger treffen in einer Bürgerversammlung auf stereotype Floskeln. Und es geht auch nicht mehr um Wasser, sondern um die fremden Erreger, die es vorher nicht gegeben hat. “Das sind Ihre Fakten. Ich habe meine Fakten.” Kulturkampf! Begrabschte Mädchen, neoliberale Geldverdiener, Vetternwirtschaft, Globalisierung, Arbeitsplatzabbau, Social Media, eine lavierende Presse, rappende Volksbeschützer, Operntöne beim linken Establishment. Das sich endlich fragt, ob es sich zu sehr um schwarze Transsexuelle statt um einfache Arbeiter gekümmert hat. Und wie es gerade zum Umlenken bereit ist, hält diese Rede schon der Donald Trump. Zum Schluss kommt’s wie auf George Orwells “Farm der Tiere”: Niemand kann mehr unterscheiden, wer die Schweine sind und wer die Menschen.
Das ist vom gesamten Ensemble (neben den Genannten Raphaela Möst, Eva Hüster, Elwin Chalabianlou, Jürgen Hartmann, Paula Kober, Armin Wahedi Yeganheh, Daniel Christensen, Dennis Herrmann, Klaus Weiss) großartig gespielt und als Interpretation der Wirklichkeit durchaus tauglich. Ärgerlich stereotyp wird das Stück, als es eine sächselnde Frau als vulgäre Wutbranze vorführt, die sich zu wortlosem Schreien steigert, weil sie nicht einmal artikulieren kann, warum sie so wütend ist. Dazu bedarf es der Wortübernahme durch die Neue Rechte. Die Ostlerin kreischt und stammelt, die Westler machen’s unter sich aus. Ist das nun Realismus, Zynismus oder Fernblick?
Eine Anspielung auf Castorf und seine Videosequenzen gab’s auch, und jetzt ist er gefallen, dieser Name: Was Castorf wohl aus dem Ganzen gemacht hätte? Was hätte er noch hineingewoben in den Ibsen und ins AfD-Programm? Trotzki? Otto Strasser? Parteitagsreden? Frantz Fanons “Das kolonisierte Ding wird Mensch”? Sechs Stunden statt knapper drei?
Ich war das erste Mal nach Castorfs Weggang und der Theaterbesetzung wieder in der Volksbühne. Verdammt viel Holz an den Wänden, ohne das schwarze Lametta des Bühnenbildners Bert Neumann. Das Volksbühnen-Volk muss sich neu finden.
Weitere Aufführungen gibt es am 22. und 28.12. 2018 sowie am 4.1.2019.
Bühnenfoto
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