In seinem Buch von 2015 “Alle Nähe fern” spürte André Herzberg seinen jüdischen Wurzeln und der Geschichte seiner Familie nach. Sein neues Werk “Was aus uns geworden ist” knüpft daran an und erweitert das Panorama.
Herzberg verbindet in seinem Roman Erzählstränge seiner Familie mit den Erlebnissen anderer jüdischer Deutscher in der DDR. Gemeinsam haben sie eine innere Unruhe und ein Unbehagen, das aus ihrer Situation als Außenseiter entsteht.
Den meisten dürfte Herzberg vor allem als Frontmann der Gruppe Pankow bekannt sein – einer Rockband, die statt über sterbende Schwäne lieber über zu lange verehrte alte Männer sang und von gequälten Soldaten, die beim Wachestehen masturbieren.
Jakob, so lautet Herzbergs Nom de Plume im Buch, hilft bei der NVA ein kleiner, verdeckter Davidstern um seinen Hals dabei, sich inmitten des verrohenden Kommisses nicht selbst aufzugeben. Herzberg begleitet die Protagonisten seines Buchs durch Stationen ihres Lebens. Richard, einer von ihnen, reist zu Anfang im Parteiauftrag mit falschen Papieren nach Nazideutschland – und unterhält die SS-Leute im Zugabteil mit jüdischen Witzen. Vielleicht beschreibt auch dieses Buch am besten ein alter jüdischer Witz: In New York treffen sich zwei emigrierte Juden auf der Straße. “Are you happy?”, fragt der eine. “Yes, I’m happy.” “Are you really happy?” “Yes, I’m really happy. Aber glücklich, glücklich bin ich nicht.”
Ähnlich in die Welt geweht wirken Herzbergs Helden. Auch sie müssen sich ihr Glück ergrübeln und erkämpfen. Sie leben als Juden in einem atheistischen Land, regiert von Kommunisten, die sich als Hauptopfer des Faschismus fühlen und deren Verbündete im antiimperialistischen Befreiungskampf die Palästinenser sind. Juden fühlen sich sich wie Katzen in einem Hundeland, die so tun, als seien auch sie Hunde, um bloß nicht aufzufallen, eine “Einsicht in die Notwendigkeit” von vielen.
Herzberg beschreibt, wie Anton zur Unterstützung des Prager Frühlings zaghaft für Dubček demonstriert, knapp einer Verurteilung zu drei Jahren entkommt. Sein Vater, ein Funktionär, wird degradiert, die Mutter betet, denn sie hat “diesen Juden-Gottesknacks”. Episode reiht sich an Episode. Und nach der Wende? Anton arbeitet für einen Konzern und heiratet die polnische Putzfrau, im Rathaus und nicht in der Kirche oder Synagoge. Jakob geht zur Psychoanalyse. Und ist in einer Gruppentherapie gleichermaßen wütend auf die blonde Deutsche, die sich unglücklich in einen Israeli verliebt hat (“Was ist schlimmer als die Deutschen? Deutsche, die an Juden interessiert sind”), wie auf einen Israeli, der die Sitzungen in perfektem Hebräisch protokolliert, einer Sprache, die Jakob nicht einmal sprechen kann.
Die Heilung braucht Zeit, und der Zweifel ist jüdisch. Aber die Wende hat Jakob die Freiheit gebracht, Teil einer vielköpfigen Familie zu sein, in Deutschland, in Israel, in New York und anderswo. Sie wollen sich nicht mehr wie Katzen fühlen, Michaela, Jakob, Richard, Anton, Eike und Peter. “Nur ein guter Mensch will Jakob sein, einer, der Verantwortung übernimmt für das, was er tut, einer, der nicht anderen antut, was er sich selbst nicht antut. Nur Mensch unter Menschen. Hinten wartet seine restliche Familie auf ihn, und sie nehmen sich alle in die Arme.” Er ist angekommen.
Kein Buch wie ein Rocksong. Eher eines wie ein lange nachhallendes Konzeptalbum.
Erschienen ist das Buch ist bei Ullstein. Es kostet 22 Euro.
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