In Karl-Marx-Stadt ist der Teufel los: Ein 35-jähriger Deutscher stirbt nach einem Messerangriff, zwei weitere Opfer werden verletzt. Die Polizei verhaftet die mutmaßlichen Täter, einen Syrer und einen Iraker. Gerüchte wabern durchs Netz. Zunächst demonstrieren Hooligans, denen sich am nächsten Tag dann tausende andere Demonstranten anschließen.
Einige von ihnen gehen auf ausländisch wirkende Passanten los. Die Polizei hat an zwei Tagen hintereinander zu wenig Leute vor Ort. Mit Mühe und Not schafft sie es, Demonstranten und Gegendemonstranten voneinander zu trennen und sich selbst zu schützen. Dann der nächste Skandal: Die rechte Bewegung Pro Chemnitz, ein AfD-Kreisverband und Pegida-Gründer Bachmann publizieren im Netz den Haftbefehl gegen den Haupttäter – inklusive seiner Adresse und der Namen von Zeugen.
Was ist faul im Staate Sachsen? Manche Medien verbinden das Polizeiversagen damit, dass Ignoranz gegenüber ultrarechten Bestrebungen seit Zeiten des Ministerpräsidenten Biedenkopf (“Die Sachsen sind immun gegen den Rechtsradikalismus”) Landespolitik sei. Als Beleg führen sie die Ausschreitungen in Heidenau, Freiberg, Freital und Clausnitz an. Auch eine als Sachsensumpf bekannt gewordene Affäre taucht Polizei und Justiz im Freistaat in ein trübes Rotlicht. Die mögliche Verquickung von Bordellbetreibern, Justiz und Immobilienhändlern ist nach elf Jahren immer noch weitgehend unaufgeklärt. Ist Sachsen also ein Sonderfall?
Cottbus, Chemnitz, Social Media
Die Ereignisse im Februar in Cottbus (Land Brandenburg) belegen, dass Wut auch anderenorts nur einen Anlass und Social Media braucht, um sich in der Masse zu entladen. Und der ungeklärte Tod mehrerer Festgenommener im Dessauer Polizeigewahrsam zeigt, dass in Sachsen-Anhalt ebenfalls nicht alles glänzt, was schwarz-rot-gold ist. Was zuletzt auch der kaltherzige Mord an einer chinesischen Studenten in der Bauhaus-Stadt Dessau bestätigt hat: Die Mutter des Haupttäters ist Polizeibeamtin, der Stiefvater war Revierleiter. Einen Tag nach der Trauerfeier für das Mordopfer haben sie eine eigene Gartenkneipe eröffnet – sie waren an dem Tag krankgeschrieben.
Also typisch Ostdeutschland? Auch der Westen hat seine Justizskandale, in Bayern zum Beispiel den um Gustl Mollath, und eine gelegentlich überforderte Polizei. Gerade besonders lautstarke AfD-Politiker wie Björn Höcke, Alexander Gauland, Jens Maier, Beatrix von Storch sind außerdem reine Westgewächse.
Der Osten hat aber den Nachteil, noch gezeichnet zu sein von der nur mäßig gelungenen eigenen Integration. Vielleicht regieren deshalb besonders viele misstrauisch auf die Regierungs-PR rund um die Migration und sind einige anfälliger für rechtsradikale Heilsversprechen. Zwar ist es im Osten nicht mehr so wie kurz nach der Wende, als bei Prozessen Richter, Staatsanwalt und Verteidiger aus dem Westen kamen und der einzige Ostler im Saal der Mann auf der Anklagebank war. Aber auch 2016 sind laut einer Studie von 22 Rektoren ostdeutscher Hochschulen nur 3 aus dem Osten. Der Anteil ostdeutscher Richter an den obersten Gerichten der neuen Bundesländern beträgt 13 Prozent. Dieselbe Studie stellt fest: “Ein Nachrücken Ostdeutscher in Führungspositionen in Ostdeutschland entsprechend der Bevölkerungsverteilung ist kaum feststellbar. Nur 23 Prozent beträgt der Anteil Ostdeutscher innerhalb der Führungskräfte in den neuen Bundesländern – bei 87 Prozent Bevölkerungsanteil.”
Natürlich dient nichts davon als Entschuldigung für eine Menschenhatz. Aber es sind Fingerzeige, wie fremdbestimmt sich manche Ostdeutsche fühlen.
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