Der Liederwettbewerb der Intervision war die Antwort des Ostens auf den Grand Prix d’Eurovision de la Chanson. Aufgezeichnet wurde er in der traditionsreichen Waldoper in Sopot (Polen).
Man nehme: ein seit 1961 veranstaltetes internationales Schlagerfestival. Eine Organisation für den Austausch von Fernsehprogrammen. Und eine pathetische Fanfare, komponiert von Schostakowitsch. Fertig ist der Konkurrenz-Grand-Prix, der ab 1977 vier Jahre lang stattfand.
Weil alles besser sein sollte als bei den Kapitalisten, konnten auch nichteuropäische Künstler teilnehmen, zum Beispiel aus Kuba, der Mongolei oder Marokko. Dazu kamen außerhalb des Wettbewerbs Stargäste aus Ländern, die nicht zum Senderverbund zählten, wie Boney M., Petula Clark oder Gloria Gaynor. Zusätzlich wurden auch noch die besten Schallplatten gekürt, so dass das Festival vier Tage dauerte. Und natürlich war aus dem Osten alles dabei, was in der Schlager- und Popszene Rang und Namen hatte: Helena Vondráčková, Jiří Korn, Frank Schöbel, Czesław Niemen, Zsuzsa Koncz, Judith Szűcs, die Roten Gitarren, Sofia Rotaru, Maryla Rodowicz …
Im Unterschied zum Eurovisons-Grand-Prix wurde das Festival nicht vom Gewinner-Land des Vorjahres ausgerichtet, sondern fand ständig in Sopot statt. Auch die Präsentation der Lieder wich vom üblichen 3-Minuten-Schema ab, so dass eine Interpretin auch schon einmal 45 Minuten auf der Bühne stand. So wie der Eurovisons-Grand-Prix hatte auch der Intervisons-Wettbewerb seine Skandälchen: 1978 bekreuzigt sich Alla Pugatschowa zum Entsetzen der atheistischen polnischen Fernsehoffiziellen und zur Begeisterung des Publikums auf der Bühne. Sie gewann dann trotzdem. 1979 sang Demis Roussous nicht live, sondern playback. Im selben Jahr wurde Boney M.s “Rasputin” nachträglich herausgeschnitten – “Lover of the Russian Queen” galt als unschicklicher Affront.
Im August 1980 fingen polnische Werftarbeiter zu streiken an – der Intervisions-Wettbewerb im September war dann der letzte. Erst 1984 schrieb Sopot seine Tradition als internationales Liederfestival fort.
Der Redakteur kann sich nicht erinnern, je eine Übertragung oder Aufzeichnung aus Sopot gesehen zu haben. Ruft Sopot bei Ihnen Erinnerungen wach?
Die Gewinner des Grand Prix:
1977: Helena Vondraćkova (CSSR), “Malowany dzban” („Bemalter Krug“)
1978: Alla Pugatschowa (UdSSR), “Vsjo magut karoli” (“Könige können alles”)
1979: Czesław Niemen (Polen), “Nim przyjdzie wiosna” (“Bevor der Frühling kommt”)
1980: Marion Rung (Finnland, “Hyvasti Yo” (“Wo ist die Liebe”)
DDR-Teilnehmer:
1977: Frank Schöbel, Gruppe Kreis
1978: Dagmar Frederic, „Einen Tag heb für mich auf“, „Was halten Sie vom Tango?“ (Zweiter Preis)
1979: Michael Hansen & die Nancies
1980: Ute Freudenberg, “Jugendliebe”, “Wie weit ist es bis ans Ende dieser Welt”
Film des Polnischen Fernsehens über das Festival 1977 (45 Minuten)
Website der Waldoper mit zahlreichen Festival-Informationen (polnisch)
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