Den 8. Mai beging die DDR als Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus: In den späten Nachtstunden dieses Tages hatte 1945 das Oberkommando der Wehrmacht im sowjetischen Hauptquartier seine bedingungslose Kapitulation unterzeichnet.

Deutschland und Russland waren Gegner in zwei schrecklichen, von Deutschland verursachten Kriegen, zu anderen Zeiten aber auch Verbündete: Peter der Große schickte dem preußischen König Friedrich Wilhelm I. eine Kompanie Lange Kerls, es gab den Dreikaiserbund 1881. Und 1922 den Rapallo-Vertrag, mit dem Sowjetrussland und Deutschland ihre außenpolitische Isolation beenden konnten. Die DDR war dem “Lande Lenins” und den “Völkern der Sowjetunion” dann bis zur Perestroika in “unverbrüchlicher Treue” verbunden.

Verordnete Drushba und reale Freundschaft
Die Frage nach Koch und Kellner stellte sich nicht: “Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen”, verkündeten Spruchbänder allerorten. Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft war nach der Gewerkschaft die zweitgrößte Organisation im Staate mit über sechs Millionen Mitgliedern (1985). Eingetreten sind die Menschen aus Überzeugung – oder um ihre Ruhe zu haben und nicht die Chancen der Brigade auf Prämien im sozialistischen Wettbewerb zu schmälern.

So ambivalent wie die Gründe für eine Mitgliedschaft war das Verhältnis zu den Sowjetbürgern im Land. Die kasernierten Soldaten waren im Stadtbild fast unsichtbar und galten gemeinhin als arme Schweine; zu sehen waren nur Offiziere (und deren Frauen, die man wegen ihres schweren Parfüms auch erriechen konnte). In den Geschäften der Garnisonsstandorte, den “Russen-Magazinen”, konnten auch Deutsche einkaufen. Das taten sie gern in der Hoffnung auf ein bisschen Abwechslung, und sei es auch nur durch Mischka-Konfekt. Russischunterricht gab’s ab der fünften und in Spezialschulen bereits ab der dritten Klasse,  Brieffreundschaften mit russischen Schülern inklusive. Mangels Übung war das Erlernte oft bald wieder vergessen. Mitunter wurden gute Leistungen mit kostenlosen Reisen im Freundschaftszug in sowjetische Städte und Ferienlager belohnt. Viele haben in der Sowjetunion studiert oder dort auf Großbaustellen gearbeitet. Manchmal sind aus dienstlichen Kontakten zu Sowjetbürgern lebenslange Freundschaften entstanden.

Auch die russische und sowjetische Kunst hatte mehr zu bieten als Balalaika-Ensembles: Tolstoi, Lew und Alexej, Puschkin, Dostojewski, Gogol, Bulgakow, der unvermeidliche und dennoch gute Gorki, Babel, Aitmatow, die Brüder Strugazki in der Literatur, “Moskau glaubt den Tränen nicht” oder “Das Zigeunerlager zieht in den Himmel” im Kino. Und selbst die schlechten Filme taugten noch zur Redewendung “Das gibt’s in keinem Russenfilm”, ein Standard-Kommentar für schier unglaubliche Ereignisse. Mit Beginn der Perestroika stieg das Interesse an zeitgenössischer sowjetischer Kunst, die Glasnost versprach und die Verbrechen Stalins ins Licht holte. Wie auch an der Zeitschrift Sputnik, die schließlich von der DDR-Post nicht mehr vertrieben wurde – ein De-facto-Verbot.

Zwischen Finsternis und Licht
Wie schnell selbst völlig Unschuldige im Nachkriegsdeutschland jahrelange Bekanntschaft mit den Gefängnissen der sowjetischen Besatzer schließen konnten, zeigt Walter Kempowskis in seiner grandiosen Familien- und Zeitgeschichte “Deutsche Chronik”.  Warum man trotzdem meinen konnte, das östliche Deutschland sei das bessere, lässt sich bei Stefan Heym nachlesen. Für immer mehr Ostdeutsche waren “die Freunde”, wie sie ehrlich bis ironisch genannt wurden, zuletzt aber nur noch eine lästige Pflicht: Die Mitgliederzahl der Gesellschaft für DSF fiel auf 20.000, ehe die Organisation sich 1992 erst umbenannte und dann auflöste.

In der DDR war das Bekenntnis zur Sowjetunion eine Frage der staatstragenden Ideologie: Lenin galt als Vollender von Marx und Engels. Die Vergewaltigungen zahlreicher deutscher Frauen durch sowjetische Soldaten wurden deshalb ebenso verschwiegen wie die Auswirkungen des Reaktorunglücks von Tschernobyl. Für die Bevölkerung war die “Freundschaft”  auch eine Generalabsolution von den Verbrechen des Naziregimes: Man zählte wenigstens nachträglich zu den Siegern der Geschichte und konnte die eigene Schuld nach Westdeutschland delegieren. Was angesichts der hochrangigen ehemaligen Nazis in Bundeswehr, Geheimdienst und Verwaltung auch nicht schwergefallen ist.

Was bleibt von der verordneten Freundschaft? Tatsächliche Freundschaften in den noch ferneren Osten. Dankbarkeit für die Frischluft der Perestroika. Das Verständnis für die russische Befürchtung, von der NATO eingekreist am Katzentisch der Weltpolitik zu sitzen.  Und ein Kopfschütteln, wenn das ZDF sich im Ton vergreift und bei seiner Weltkriegsbilanz von “27 Millionen toten Sowjets” spricht.

Nu pagadi!

 

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