Die nach Eigenaussage führenden Wirtschaftsinstitute der Bundesrepublik haben ihr Frühlingsgutachten veröffentlicht. Sie erwarten für das laufende Jahr 2,2 und für 2019 zwei Prozent Wirtschaftswachstum. Probleme sehen sie bei der Rente.
Beauftragt hat das Gutachten das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Der Passus zur Rente liest sich als Polemik gegen die GroKo: “Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Leistungsausweitungen in der Gesetzlichen Rentenversicherung laufen dem Nachhaltigkeitsgedanken zuwider… Um den Beitragssatz zur Gesetzlichen Rentenversicherung nach Einführung der geplanten Leistungsausweitungen langfristig auf 20 Prozent zu deckeln, müsste das Renteneintrittsalter rechnerisch auf über 70 Jahre steigen oder die Zuwanderung jüngerer Erwerbstätiger in jedem Jahr über 500 000 Personen betragen. Die vorgesehenen Leistungsausweitungen gefährden somit die langfristige Stabilität der Gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland.”
Erstaunlich daran ist vor allem, wie eindimensional und kurzsichtig die Lösungsidee der Wirtschaftsinstitute ist, die Rentenlücke durch Migration zu schließen. Zwar brächten neue Steuerzahler tatsächlich zusätzliche Einnahmen. Das Rentenproblem würde dadurch aber nur kaschiert – die Belastung des Rentensystems infolge der gestiegenen Lebenserwartung verschwindet ja nicht, wenn neue Beitragszahler hinzukommen, die selbst natürlich ebenfalls älter werden. Die Behauptung blendet außerdem Kosten aus, die in anderen Bereichen entstehen. Arbeitende Migranten aus wirtschaftlich wenig entwickelten Ländern haben Kinder und Eltern, die sie als Verwandte nachholen. Angaben aus Großbritannien für das Jahr 1997 besagen, dass nur 12 Prozent der Einwanderer tatsächlich wegen der Arbeit kamen. Für die skandinavischen Sozialsysteme hat der dänische Ökonom Torben Andersen untersucht, wie sich die Migration auf deren Zukunftsfähigkeit auswirkt. Sein Befund von 2012: Die Migration stützt die Sozialsysteme nicht, sondern höhlt sie wegen der Kombination aus geringerer Qualifikation und der steigenden Zahl nichtarbeitender Familienangehöriger aus. Entnommen sind diese Daten dem ausgewogenen Buch des britischen Professors für Ökonomie Paul Collier „Exodus“, erschienen 2013. Collier sieht Migration als normal an und sucht in seinem Werk nach gerechten Einwanderungsregeln, die weder der abgebenden noch der aufnehmenden Gesellschaft schaden.
Vor diesem Hintergrund erscheint das Plädoyer der Wirtschaftsinstitute für die Aufnahme von Zuwanderern zur Rettung der Altersrente vor allem als Mittel zur Gewinnmaximierung für Unternehmen: Die Konkurrenz unter Arbeitnehmern verschärft sich, die Löhne geraten unter Druck, die Profite steigen. Und die Folgekosten gehen zu Lasten der Allgemeinheit.
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