Das Gogol-Zentrum Moskau zeigt im Deutschen Theater Berlin “Machine Müller”, eine Collage aus Texten Heiner Müllers. Auf der Bühne wird Russisch gesprochen, im Kopfhörer der deutsche Text.
Heiner Müller (1929–1995) wird von vielen als Genie verehrt. In seinen Werken trifft eine düstere Weltsicht auf irrlichternde Momente der Komik. Das Gogol-Zentrum Moskau hat zwei Stücke, “Quartett” und “Hamletmaschine”, mit anderen Müller-Texten verbunden und in Video-Projektionen eingebettet. Als verbindende Elemente wirken 20 Tänzer und ein Countertenor.
“Quartett” ist die Müllersche Bearbeitung von “Gefährliche Liebschaften”, einem französischen Briefroman von 1782. Müller hat die ursprünglich vier Personen des Romans auf zwei reduziert, die Marquise Merteuil und den Vicomte Valmont. In ihren Gesprächen und im Rollentausch geht es um Sex und Macht, um Verführung, Gier und Beherrschtwerden, um die Sklaverei der Leiber. Sati Spiwakowa spielt ihre Rolle mit Grandezza, Konstantin Bogomolow die seine mit lässig näselnder Affektiertheit. Als dritter Schauspieler der Collage ist Alexander Gortschilin dabei und bringt den Sturm und Drang seiner 26 Jahre ein. Der Countertenor Artur Wassiljew verbindet Henry Purcell, Richard Strauss und Estrade zu Glanzlichtern. Und die sehr akkuraten und dabei ausdrucksstarken Tänzer verdichten die Handlung und verlängern die Massenszenen der Videos auf die Bühne.
Die Mischung funktioniert erstaunlich gut und summiert sich zu einem Bühnengeschehen, das keine Minute langweilt. Auch dass die Tänzerinnen und Tänzer durchweg nackt auftreten, ehe sie am Ende in einer Andeutung von Zwang verhüllt werden, wirkt nicht als antiquierter Regie-Manierismus oder als versuchte Wiederbelebung von Living-Theatre-Spontanität, sondern schlüssig: als Bild für Uniformität und für eine Moderne, die über Nacktheit nicht nach moralischen, sondern nach ästhetischen Gesichtspunkten zu urteilen beliebt. Und wann wippen schon einmal acht männliche Genitale synchron zu einem Takt zwischen Lächerlichkeit und Pathos?
Im Gedächtnis haken sich einzelne Sätze und Sprachbilder fest: “Wir werden uns noch im Grab weiterentwickeln”, “die kalte Hand des Ehegatten”. Und natürlich die Bilder selbst: Demonstranten, die mittels Behelmung zu Polizisten werden, eine Blutspur aus Rotwein.
Zum Schluss ziehen sich Mitwirkende “Free Kirill”-T-Shirts über, im Publikum werden Blätter mit dieser Forderung in die Höhe gehalten: Der Regisseur der Aufführung Kirill Serebrennikow sitzt in Moskau im Hausarrest, der gegen ihn erhobene Vorwurf der Unterschlagung wirkt aus der Ferne eher konstruiert. Vermutlich ist die Beschuldigung die Strafe einer konservativen Kulturpolitik für einen Regisseur, der sich der Alternativszene verbunden fühlt. Serebrennikow will nach eigenem Bekunden dem Publikum mit seinem Theater in die Nase kneifen, ähnlich, wie ein Arzt einem widerspenstigen Patienten, damit dieser den Mund öffnet und die Medizin schluckt. Mit dieser Haltung trifft er auf eine Kulturbürokratie, die ihre Medizin lieber nach eigenem Rezept mischt und zuführt.
Das Publikum im DT, im Saal sind auch viele Russen, steht am Ende und ruft Bravo, die Akteure wirken ausgelaugt und ein wenig traurig.
Deutsches Theater
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