Es ist kalt am Rande der Ukraine. Nicht nur wegen des Winters. Andrej Kurkows “Graue Bienen” behaupten sich mit unaufgeregter ländlicher Poesie gegen einen am Rande der westeuropäischen Wahrnehmung schmurgelnden Konflikt.
Sergej Sergejtsch ist Ende 40, Invalidenrentner und lebt in der Grauen Zone. Das ist ein Puffer-Territorium zwischen den selbst ernannten Volksrepubliken in Donezk und Luhansk auf der einen und der Ukraine auf der anderen Seite. Ab und zu fliegen Artilleriegeschosse herüber und hinüber, aber eigentlich herrscht Ruhe. Einmal liegt ein Toter auf dem Feld.
Der seit drei Jahren einzige andere Bewohner im Dorf ist Pawel, den Sergejitsch seit der Kindheit nicht leiden kann. Es gibt keinen Strom. Einmal im Jahr kommen die Baptisten und laden Kohle ab. Sergejitschs Frau hat ihn verlassen und ist mit der gemeinsamen Tochter in eine Großstadt in der ukrainischen Provinz gezogen. Sein verbliebener Lebensinhalt sind seine Bienenvölker. Sie liefern ihm Honig. Und auch Gesundheit, wenn er sich mit schmerzenden Gliedern auf die Bienenstöcke legt.
Mit der Ruhe ist es vorbei, als ein russischer Scharfschütze sich in der Kirche des Dorfes einrichtet. Und die Ukrainer mit Granatbeschuss antworten. Sergejitsch beschließt, dass er seinen Bienen ein Frühjahr mit Blumen außerhalb der Grauen Zone gönnt. Eher zufällig verschlägt es ihn in ein Dörflein nahe der ukrainischen Kreisstadt Wessele, deren fröhlicher Name ihm gefällt (“wessjolo” bedeutet auf Russisch “lustig”). Dort gibt es Ärger mit ukrainischen Nationalisten. Sergejitsch zieht mit seinen Bienen weiter auf die Krim. Er will dort einen Imker besuchen, den er von einem Bienenzüchter-Kongress kennt. Die Krim wird mittlerweile von Russland beansprucht, der Kumpel, ein Krim-Tatare, wird vermisst. Sergejitsch tut, was getan werden kann. Obwohl er sich und seinen Bienen doch einfach nur ein bisschen Ruhe vorm Krieg gönnen wollte.
Kurkow ist Jahrgang 61 und in St. Petersburg geboren, das damals noch Leningrad hieß. Er lebt seit seiner Kindheit in der Kiew. Sein Sergejitsch ist ein einfacher Mann, der auf seiner Reise andere einfache Leute trifft. Das erinnert mich an Viktor Astafjew, den Schriftsteller aus Sibirien, dessen Bücher ebenfalls in der Provinz spielen zwischen Natur, Wodka und menschlichen Konflikten. Auf Deutsch ist Astafjews “Der traurige Detektiv” noch antiquarisch verfügbar, auch dessen Protagonist ist ein Frühinvalide.
In den “Grauen Bienen” trifft Sergejitsch auf halber Strecke eine Frau, der er sich in einer kurzen Zweckbeziehung verbindet. Er schaut Nachrichten im Fernseher. “‘Was gibt es?’ Galja sah aus der Küche heraus. ‘Nichts Gutes’, antwortete er. ‘Die Staatsmacht verhöhnt die Leute, wie früher! Nur ist jetzt noch der Krieg dazugekommen.’”
Darin ähneln sich bei Kurkow die Ukraine und Russland: Die einfachen Leute haben vom Staat wenig zu erwarten. Aber irgendwie geht’s immer weiter: Sergejitsch tritt aufs Gas.
Das Buch ist im Diogenes-Verlag erschienen, hat 448 Seiten und kostet 13 Euro. Übersetzt haben es Johanna Marx und Sabine Grebing. Über den Link finden Sie auch zu einer Leseprobe.
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