Am 14. April gab die alte Gundermann-Band Seilschaft im proppevollen Postbahnhof in Berlin ein umjubeltes Konzert.  Rückwärtsgewandt? Ach, die Welt dreht sich so schnell, wer weiß da schon genau, wo vorn und wo hinten ist.

Gerhard Gundermann (1955-1998) war ein Liedermacher und Song-Poet, dessen Biografie so schillert, dass es für mehrere Leben reichen würde. Nach Abbruch eines Offizierstudiums ging er “zur Bewährung” als Baggerfahrer in den Braunkohletagebau; Konzerte gab er “nach Schicht”. Denunziant und Bespitzelter, Revolutionär und Öko-Konservativer, Mutmacher und Poet – seine Liedtexte werden lauthals mitgesungen, weil sie vielen aus der Seele sprechen.

Da einige ihn sogar für DIE Stimme der DDR halten, nimmt  der Blog das Konzert  zum Anlass, die zehn Fragen mit Gundermann-Texten zu beantworten – als fiktives Interview.

Vollständig nachzulesen sind Gundermann-Lyrics  bei Ostmusik oder Buschfunk.   Die Seilschaft, das sind Mario Ferraro, Andy Wieszorek, Michael Nass, Tina Powileit und mittlerweile auch Christoph Frentz und Christian Haase.

  1. Welche Begriffe verbinden Sie spontan mit der DDR?
    Seit fünfzehn Jahren steh ich an der Weltzeituhr
    und ich bin nicht mehr so jung und warte und warte.
    Und die rote Nelke trag ich immer noch am Helm
    obwohl sie mir lange verdorrte …”
    (Lancelots Zwischenbilanz)

  2. Woran erinnern Sie sich besonders gern?
    “Blau und blau
    war der Himmel so blau
    Vögel und Flieger und wir kannten ihn
    und fröhlich winkten von dort Kosmonauten.
    Gagarin, der freundliche,
    wo ist er hin? …”
    (Blau so blau)
  3. Woran denken Sie ungern zurück?
    “Jeden Morgen steigt mein Völkchen in den Ring
    und dann schlägt es aufeinander ein
    doch mit dem Schlagen ist das ein besondres Ding,
    jeder will der Hammer, keiner will der Amboß sein.”
    (Scheißspiel)
  4. Wie verlief Ihr Berufsweg?
    “Wir fuhren jeden Morgen
    früh um fünfe durch das Morgengrau
    mit jenem alten grauen Bus.
    Der schlug mit seinem Blues
    uns Löcher in den Magen.
    Doch die alte graue Kaffeefrau
    machte um neune den Schalter auf
    und goss den heißen Balsam drauf.

    Fünf Minuten vor halb zehn
    wünschten wir, die Uhr blieb stehn.
    Frühstück für immer,
    Frühstück eine Ewigkeit …”
    (Frühstück für immer)

  5. Was haben Sie in der Freizeit getan?
    “Bleib heute wach, Brunhilde,
    wir feiern noch’n Fest .
    Die Uhr geht nach, Brunhilde,
    und ich klemme die Zeiger fest.
    Und du wirst schwach, Brunhilde,
    denn ich bin härter als derRest…

    Hier liegt für dich ein altes Kissen
    und hinterm Haus steht eine Bank.
    So poppig bunte Wundertüten
    kann ich dir nicht bieten,
    nur’ n richtig guten Sonnenuntergang .

    Und was sollte besser sein
    als so ein Abend im  Frieden,
    mit’m Fahrrad durch die Wiesen zu flieh’n.
    Alte Fraun und Männer hocken auf ihren Bänken
    und Gott hat’n leichten warmen Regen zu verschenken.
    Straßen dampfen, Hasen mampfen
    an so einem Abend im Frieden”
    (Brunhilde)

  6. Wen aus der DDR verehren Sie besonders und wofür?
    “Man konnte hier Klaus oder Janek heißen,
    das war egal.
    War’n alle nur Teig fürs Waffeleisen,
    das war egal.
    Dick oder doof, schnell oder arm,
    das war egal.
    Hier war ja nur ‘ne Maschinistenfarm
    Das war egal, hier in Hoywoy.

    Die  Wecker klingeln hier früh um vier,
    alle zugleich.
    Am Zahltag gabs immer Radeberger Bier,
    für alle gleich.
    Und schlief der Janek mit der Frau vom Klaus,
    alles gleich.
    Das fiel nicht weiter auf, hier sehn ja alle aus wie Klaus ,
    alle gleich hier in Hoywoy.

    Nur eins war seltsam hier:
    Gleich hinter dem Ortseingangsschild
    war es plötzlich ganze vier Grad wärmer
    und der Wind so mild.
    Ich riss mein Helmvisier
    hier immer weit auf, weil ich nicht mehr so fror.
    Du lachtest hinter mir
    und die Kinder krochen kichernd
    unter der Seitenwagenplane vor…”
    (Hoy woy)

  7. Was hat Ihre DDR-Vita besonders geprägt?
    “Hier bin ich gebor’n,
    wo die Kühe mager sind wie das Glück.
    Hier hab ich meine Liebe verlorn
    und hier krieg ich sie wieder zurück.Hier liegt mein Vater unter der Erde ,
    meine Mutter liegt aufm Balkon.
    Hier frisst mir eine Kinderherde
    die letzten Haare vom Ballon.
    Hier sind wir alle noch Brüder und Schwestern ,
    hier sind die Nullen ganz unter sich.
    Hier isses heute nicht besser als gestern
    und ein Morgen gibt es hier nicht.

    Hier hab ich meine letzten Freunde beleidigt,
    harte Herzen zu Butter getanzt.
    Hier hab ich junge Pioniere vereidigt
    und Weihnachtsbäume gepflanzt.

    Hier hab ich meine Leichen im Keller,
    wir spielen Mensch ärger dich nicht .
    Hier krieg ich immer nur ‘nen halbvollen Teller
    an einem runden Tisch.

    Hier gab es billigen Fusel auf Marken
    und genauso sehn wir heute auch aus .
    Hier lässt manFremde nicht gerne parken,
    es sei denn, sie geben einen aus.

    Hier drehe ich meine Kreise
    wie ein fest verankertes Schiff .
    Hier führt mich meine Reise
    nicht weit aber tief .

    Hier bin ich geborn
    so wie ins Wasser fiel der Stein.
    Hier hat mich mein Gott verlorn
    und hier holt er mich wieder ein.”
    (Hier bin ich geboren)

  8. War das Verhältnis von Männern und Frauen zueinander anders als heute?
    “Es mischen sich die freien Männer und die freien Fraun
    an jedem Wochenende neu um sich zu bekau’n.
    Du liebst ein Mädchen sieben Jahr und ihr küsst euch schon,
    nur das und nichts weiter, mein Sohn, ist heut schon Revolution.”
    (Revolution Nr. 10)
  9. Welche Meinung hatten Sie 1990 zur Wiedervereinigung?
    “Günthi Krause ist Minister,
    Günthi Krause ist so frei.
    Von allen zweifeln hört ihn flüstern
    Bahne frei Kartoffelbrei.
    Ihr müsst nur mal auf ihn horchen,
    auf seiner zarten Stimme Klang.
    Das ist die Hupe vonnem Porsche,
    aquaplanig ist sein Gang.”
    (Terminator)
  10. Welche Meinung haben Sie heute zum vereinten Deutschland?
    “Mein Herzblatt,
    was bist du so traurig,
    nur weil dieser Tag
    wieder nicht gehalten hat,
    was er versprach …

    Gott ist schon besoffen,
    die Uhr zeigt fünf vor zwölf,
    aber ich seh´ nicht mehr hin.
    Solange die Zeiger rücken,
    solange die Räder klicken,
    ist noch alles offen, ist noch alles drin.

    Wir hetzen auf der Suche nach dem Futternapf
    wie Ratten durch das Labyrinth.
    Solang wir noch tanzen können
    und richtig echte Tränen flennen
    ist noch alles offen
    ist noch alles drin.”
    (Herzblatt)

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