Die Volksbühne gönnt sich eine Eigenproduktion. Drei Stunden lang blickt Leander Haußmann auf die Bohème des Prenzlauer Bergs und ihre Unterwanderung durch das MfS. Es sind drei lange Stunden.
Haußmann ist als Regisseur komödienerprobt und hat fürs Kino “Sonnenallee” gedreht, “NVA”, “Hotel Lux”, “Hai-Alarm am Müggelsee”. Und auch seine Inszenierung an der Volksbühne ist komödiantisch: die Stasi als Knallchargen-Riege zwischen Sentimentalität und Brutalität.
Die Geschichte: Ludger Fuchs (Horst Kotterba) liest mit seiner Frau Ramona (Silvia Rieger) in seiner Stasi-Akte und findet dort den Liebesbrief einer außerehelichen Affäre. Er leugnet, aber ein paar Seiten weiter ist auch sein Antwortbrief abgeheftet. Seine Frau, wegen Zugehörigkeit zu Dissidentenkreisen vom Germanistikstudium exmatrikuliert, erkennt in den Wortwiederholungen Textmuster, die Fuchs auch ihr gegenüber verwendet hat. Wer ist dieser Mann überhaupt, mit dem sie seit 36 Jahren verheiratet ist? Nach diesem Unhappy End wird zurückjeblend’ in die 80er. Und siehe: Der junge Fuchs (Matthias Mosbach) war ein Spitzel, angesetzt auf die Künstlerszene (“NegDeks”, negativ Dekadente) und die junge Ramona (Antonia Bill). Wobei die Zielperson womöglich selbst beim MfS war. Wohnungseinbruch, zwecks Irritierung verspritztes Fremd-Sperma, Abhör-Aktionen, Intrigen, Bett-Gerammel, ein Mielke in Frauenkleidern (Waldemar Kobus), der gerührt dem Lied vom kleinen Trompeter lauscht. Eingestreutes weiteres DDR-Liedgut, von Renft über Bettina Wegner bis zu Feeling B.
Die Moral von der Geschicht: Waren nicht fast alle ein bisschen stasi beim künstlerischen Dissidieren? Und wie gerecht ist es, Stasi-Mitarbeiter auf Mindestrente zu setzen, in die Wüste zu schicken und sich dadurch von eigenen Sünden befreit zu glauben? Die Wüste hat sich zu blühenden Landschaften oder deren Simulation entwickelt. Aber die Ex-Stasi- Leute sind immer noch dort, haben Kinder und Enkel und finden es ungerecht, dass ihre Rente auf ein bisschen über 400 Euro zusammengestrichen wurde – im Unterschied zu den Renten der Grenztruppen oder der Volkspolizei. Gleich eingangs des Stückes erklärt das Uwe Dag Berlin als Stasi-Rentner in einem wütenden Monolog und Tanz. Es gehe nicht gegen Ausländer. Es gehe gegen die Ungerechtigkeit.
Das ist eine spannende Interpretation, die eine Auslotung gelohnt hätte. An anderer Stelle hätte gern gestrichen und poliert werden können: Das Stück ist eine Stunde zu langweilig und vor allem vor der Pause zäh. Der Slapstick wird nicht ausgereizt, die dem Thema eigene banale Boshaftigkeit auch nicht. Haußmann mag sich nicht entscheiden zwischen “Pension Schöller” und “Stalins Tod”. Aber bis zum geplanten Film ist ja noch Zeit.
Das Publikum applaudierte schon beim sich erhebenden dreistöckigen Bühnenbild (Bühne: Lothar Holler) – wohl schlicht froh, in der Volksbühne wieder Theater zu sehen mit allem, was die Werkstätten hergeben. Demnächst ja vielleicht auch mit einer aufregenden Inszenierung.
Nächste Vorstellungen: 21.12.18, 5.1.29, 24.1.19
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