- Welche Begriffe verbinden Sie spontan mit der DDR?
Spalier-Stehen. Das Magazin. Antifaschismus. Utopie. Absurdes Theater. Lizenz-Schallplatte. - Woran erinnern Sie sich besonders gern?
An Moped-Ausflüge auf dem Sozius meines Schulfreunds. An Pittiplatschs Reisen ins Koboldland. An manche Lehrer. An Russisch-Olympiaden. An einen vergnügten Säugling im Kinderbettchen. An manche Szenen einer Ehe. An Erlebnisse mit Freunden aus der Schul- und Studienzeit, die immer noch Freunde sind. An das Umsorgtsein durch meine Mutter und meine Großmutter in der Kindheit. An den Zettel, den mir eine Schulkameradin in der 6. oder 7. Klasse zugeschoben hat, als es gerade um Berufe ging: “Ich will Fickerin werden. Mit dir.” Ich hab Tage gebraucht, um zu kapieren, dass nicht Flickerin als mögliche Variante von Näherin gemeint war. Und geworden ist dann auch nichts daraus. Trotzdem ‘ne Wärmflasche fürs Herz. - Woran denken Sie ungern zurück?
Schulsport, Geräteturnen: darauf hoffen, dass die “Hilfestellung” mich irgendwie ums Reck gewickelt bekommt, damit es noch ‘ne 3 Minus wird. An die Entscheidungen, wem man vom Westfernsehen erzählen durfte und wem nicht. An manche Lehrer. An das vormilitärische GST-Getue. An den stumpfsinnigen Dienst in der Armee. Aber auch dort gab’s neben Fieslingen auch Sympathen. Und die AWACS-Aufklärer sind tatsächlich im Westen an der Grenze entlanggeflogen. An das Verhalten der Russen bei der Auflösung der DDR. So schnell und gründlich haben sich die Amis noch nicht einmal von ihren blutigsten Diktatoren distanziert (Roosevelt 1939 : “Somoza may be a son of a bitch, but he’s our son of a bitch.”) - Wie verlief Ihr Berufsweg?
POS, EOS, Abi an der ABF “zu Halle” (die von der Arbeiter- und Bauernfakultät zu einem Institut der Martin-Luther-Uni zur Vorbereitung auf ein Auslandsstudium geworden war), Studium in Moskau, DDR-Außenministerium, Abwicklung, Neuanfang. - Was haben Sie in der Freizeit getan?
Jede Menge gelesen. Bücher, Frösi, Atze, später dann auch Wochenpost, Magazin, Sportecho, Neues Leben oder wie die Ost-Bravo damals hieß. Schüchtern gewesen. Fernsehen und Kino: Flimmerstunde, Olsenbande, Louis de Funès, Trotta, die Dracula-Filme aus den Hammer-Studios mit Christopher Lee, Edgar Wallace, Pan Tau, Pippi Langstrumpf, Bonanza, Enterprise, Rauchende Colts, Waltons, Adolar, Arpad der Zigeuner, Der Kapitän vom Tenkesberg, Feierabend mit Polda, Muppets, Laurel & Hardy, Der letzte große Sieg der Daker, Chingachgook. Kleine Geschichten geschrieben. Musik gehört. Das Übliche: Beatles, Doors, Pink Floyd, Neil Young, ein bisschen Jazz und Liedermacher. Renft ja, Biermann nein. Fahrrad gefahren und Moped. Mit Ehekredit Möbel gesucht. Bier verkostet. - Wen aus der DDR verehren Sie besonders und wofür?
Die “Keine-Gewalt”-Leute (erinnert Ihr Euch an die gelben Schärpen?), die mit dafür gesorgt haben, dass es keinen Platz des himmlischen Friedens gab. Alle Nicht-Hetzer. Die Stillen mit eigener Meinung, die in Versammlungen nicht automatisch die Hand gehoben haben, wenn wieder jemand abgestraft werden sollte. Künstler wie Stefan Heym. - Was hat Ihre DDR-Vita besonders geprägt?
Hineingeboren, herausgewachsen. Hassliebe zur Sowjetunion. - War das Verhältnis von Männern und Frauen zueinander anders als heute?
Das kommt wohl eher auf die Einzelnen an. Früher war ein Sowohl-als-auch leichter, sowohl Kind als auch Karriere. Eine Beziehung war kein (finanzielles) Lebensrisiko, der Wiedereinstieg in den Beruf leichter zu haben. Für eine Karriere im mittleren Management kommt es heute allenfalls auch auf Leistung an und eher auf Anwesenheit und Imponier-Gequatsche auf Meetings, wozu eher Männer zu neigen scheinen. Und wenn die Kita um sechs schließt und das Kind traurig guckt, weil es schon wieder als letztes abgeholt wird…. Trifft auch auf Männer zu, die “Karriere” nicht als Haupt-Motivation empfinden. Bei allem Diskutieren um Quoten - wie viele Ihrer männlichen Freunde sind denn Vorstand in einem DAX-Konzern? Noch offen ist, wohin das Web2.0 führt. Im Ideallfall zu einer besseren Work-Life-Balance. Beziehungen können durch Internet und Social Media aber auch unter einem Terror der Möglichkeiten leiden: Vermeintlich bessere Partner scheinen immer nur einen Mausklick entfernt. - Welche Meinung hatten Sie 1990 zur Wiedervereinigung?
Eine naive. Die DDR war für mich Absurdes Theater und ich war dafür, dass man den Intendanten rauswirft und den Spielplan auf kritischen Realismus umstellt, aber nicht gleich das ganze Theater abreißt. - Welche Meinung haben Sie heute zum vereinten Deutschland?
Der Anteil der Charakterschweine beträgt systemübergreifend zwischen einemViertel und einem Drittel der Gesamtbevölkerung. Und: Es ist noch einmal gut gegangen.
. Welche Begriffe verbinden Sie spontan mit der DDR?
Spalier-Stehen. Das Magazin. Antifaschismus. Utopie. Absurdes Theater. Lizenz-Schallplatte.
2. Woran erinnern Sie sich besonders gern?
An Moped-Ausflüge auf dem Sozius meines Schulfreundes. An Pittiplatschs Reisen ins Koboldland. An manche Lehrer. An Russisch-Olympiaden. An meine vergnügte Tochter in ihrem Kinderbett. An manche Szenen einer Ehe. An Erlebnisse mit Freunden aus der Schul- und Studienzeit, die immer noch Freunde sind. An das Umsorgtsein durch meine Mutter und meine Großmutter in der Kindheit. An den Zettel, den mir eine Schulkameradin in der 6. oder 7. Klasse zugeschoben hat, als es gerade um Berufe ging: “Ich will Fickerin werden mit dir.” Natürlich hab ich Tage gebraucht, um zu kapieren, dass nicht Flickerin als mögliche Variante von Näherin gemeint war. Und geworden ist dann auch nichts daraus. Trotzdem ‘ne Wärmflasche fürs Herz.
3. Woran denken Sie ungern zurück?
Schulsport, Geräteturnen: darauf hoffen, dass die “Hilfestellung” mich irgendwie ums Reck gewickelt bekommt, damit es noch ‘ne 3 Minus wird. An die Entscheidungen, wem man vom Westfernsehen erzählen durfte und wem nicht. An manche Lehrer. An das vormilitärische GST-Getue. An den stumpfsinnigen Dienst in der Armee. Aber auch dort gab’s neben Fieslingen auch Sympathen. Und die Awacs-Aufklärer sind tatsächlich im Westen an der Grenze entlanggeflogen. An das Verhalten der Russen bei der Auflösung der DDR. So schnell und gründlich haben sich die Amis noch nicht einmal von ihren blutigsten Diktatoren distanziert (Roosevelt 1939 : “Somoza may be a son of a bitch, but he’s our son of a bitch.”)
4. Wie verlief Ihr Berufsweg?
POS, EOS, Abi an der ABF “zu Halle” (die von der Arbeiter- und Bauernfakultät zu einem Institut der Martin-Luther-Uni zur Vorbereitung auf ein Auslandsstudium geworden war), Studium in Moskau, DDR-Außenministerium, Abwicklung, Neuanfang.
5. Was haben Sie in der Freizeit getan?
Jede Menge gelesen. Bücher, Frösi, Atze, später dann auch Wochenpost, Magazin, Sportecho. Schüchtern gewesen. Fernsehen und Kino: Flimmerstunde, Olsenbande, Louis de Funès, Trotta, die Dracula-Filme aus den Hammer-Studios mit Christopher Lee, Edgar Wallace, Pan Tau, Pippi Langstrumpf, Bonanza, Enterprise, Rauchende Colts, Waltons, Adolar, Arpad der Zigeuner, Der Kapitän vom Tenkes-Berg, Feierabend mit Polda, Muppets, Laurel & Hardy, Der letzte große Sieg der Daker, Chingachgook Kleine Geschichten geschrieben. Musik gehört. Das Übliche: Beatles, Doors, Pink Floyd, Neil Young. Renft ja, Biermann nein. Fahrad gefahren und Moped. Mit Ehekredit Möbel gesucht. Bier verkostet.
6. Wen aus der DDR verehren Sie besonders und wofür?
Die “Keine-Gewalt”-Leute (erinnert Ihr Euch an die gelben Schärpen?), die – selbst oft unsicher – mit dafür gesorgt haben, dass es keinen Platz des himmlischen Friedens gab. Alle Nicht-Hetzer. Die Stillen mit eigener Meinung, die in Versammlungen nicht automatisch die Hand gehoben haben, wenn wieder jemand abgestraft werden sollte. Künstler wie Stefan Heym.
7. Was hat Ihre DDR-Vita besonders geprägt?
Hineingeboren, herausgewachsen. Hassliebe zur Sowjetunion.
8. War das Verhältnis von Männern und Frauen zueinander anders als heute?
Das kommt wohl eher auf die Einzelnen an. Früher war ein sowohl-als-auch leichter, sowohl Kind als auch Karriere. Eine scheiternde Beziehung war auch kein (finanzielles) Lebensrisiko, ein Wiedereinstieg in den Beruf leichter zu haben. Dass heute weniger Frauen in “Führungspositionen” sind als damals, hat damit zu tun, dass es oft nicht nach Leistung geht, sondern nach Anwesenheit und imposantem Gelaber auf Endlos-Meetings. Und wenn die Kita um sechs schließt und das Kind traurig guckt, weil es schon wieder als letztes abgeholt wird…. Trifft auch auf Männer zu, die “Karriere” nicht als Haupt-Motivation empfinden. Bei allem Diskutieren um Quoten - wie viele Ihrer männlichen Freunde sind denn Vorstand in einem Dax-Konzern? Noch offen ist, wohin das Web2.0 führt. Im Ideallfall zu einer besseren Work-Life-Balance. Beziehungen können durch Internet und Social Media auch unter einem Terror der Möglichkeiten leiden: Vermeintlich bessere Partner scheinen immer nur einen Mausklick entfernt.
9. Welche Meinung hatten Sie 1990 zur Wiedervereinigung?
Eine naive. Die DDR war für mich Absurdes Theater und ich war dafür, dass man den Intendanten rauswirft und den Spielplan auf kritischen Realismus umstellt, aber nicht gleich das ganze Theater abreißt.
10. Welche Meinung haben Sie heute zum vereinten Deutschland?
Der Anteil der Charakterschweine beträgt systemübergreifend zwischen einem Drittel und einem Viertel der Gesamtbevölkerung. Und: Es ist noch einmal gut gegangen.
- Interessant? Danke. Dann teilen Sie doch den Text.
- Share on Linkedin
- Tweet about it
- Print for later
- Tell a friend
2 Responses to S.G, Mann, 47, Berlin, Diplom-Staatswissenschaftler
Einen Kommentar hinterlassen Cancel reply
Nach Kategorien sortieren
Letzte Artikel
- Abgeschlossenes Sammelgebiet
- Ost-Identitäten als soziales Kapital
- Der Mäzen aus dem Waisenhaus
- Weltall, Erde, Mensch
- Vom unsichtbaren Visier in den Granatenhagel
- Mohren, Missionare und Moralisten
- Der Osten und das Unbewusste
- Füllt mir eure Daten in mein Säckel
- Vertrieben, zensiert, gefördert
- Eine Jugend in Prag
- Sprachstanzen und Gedankenmuster
- Nu da machd doch eiern Drägg alleene!
- Mit dem Rolli in die Tatra-Bahn
- Der Teufel in Moskau und im Nationaltheater Weimar
- Low noise? Dreht die Regler auf!
Stimmen-Tags
Beatles-Oldie Brigadier Broiler Bückware Dummheit Ellenbogen Gemischt-Sauna größtes Glück Hartz IV Hase im Rausch Hausbuch Hilbig Honecker intolerant Kollektiv komisch Konsum Mangelwirtschaft Mauer Mokkafix Neid Oertel Patenbrigade Pflaumenmus Pionier Russen Russisch S50 Scheiße Schwarz-weiß Sex Solidarität Sport Stagnation Stasi Stern-Recorder Stimme der DDR Titten-Bilder Trabi tragisch Vita-Cola Wende weniger verkrampft Westfernsehen Wilhelm PieckLetzte Kommentare
- Redaktion bei Ost-Identitäten als soziales Kapital
- André Beck bei Ost-Identitäten als soziales Kapital
- Redaktion bei Inzest und Liebe
- Redaktion bei Colegas estrangeiros: Mosambikaner in der DDR
- Mario Kluge bei Ein Denkmal der Arbeit
Der like Button wuerde sich gut im Blog machen, oder habe ich ihn uebersehen?
Diesen like/dislike-Button für einzelne Beiträge? Finde den wenig aussagefähig, weil damit alles und nichts gemeint sein kann. Natürlich trotzdem danke für den Hinweis – der mich auch darauf gebracht hat, dass zwar in den einzelnen Beiträgen die Twitter/Facebook/sonsterlei-Verlinkungsbuttons sind, aber nicht auf der Startseite. Mal schauen, was WordPress hergibt.
Gruß
MK