- Welche Begriffe verbinden Sie spontan mit der DDR?
Antifaschistischer Schutzwall, Klassenstandpunkt, sogenannte wissenschaftliche, materialistische und atheistische Weltanschauung, sozialistische Persönlichkeit: alles keine Begriffe, bei denen mir warm ums Herz würde oder derer ich mich gern erinnern würde, ganz im Gegensatz zu anderen Dingen, die mir in guter Erinnerung sind. - Woran erinnern Sie sich besonders gern?
An die Geborgenheit in der Familie oder auch im Kreis der Kirche. An das Studium und die Freunde, mit denen man die Zeit in der DDR durchlebt und manchmal auch durchlitten hat. Aber ich denke auch gern an die Solidarität unter den Menschen zurück, die eben oft gerade dann ausgeprägter ist, wenn man unter schwierigen Verhältnissen zusammen lebt. Sehr gern denke ich daran zurück, wie wir gemeinsam den friedlichen Wandel des Jahres 1989 gestaltet haben. Das ist etwas, worauf wir gemeinsam stolz sein können. - Woran denken Sie ungern zurück?
An Benachteiligungen, die man erleben musste, wenn man aus einem christlich geprägten Elternhaus kam und seinen Glauben leben wollte, und natürlich an die Einschränkungen, die für die DDR typisch waren, von der fehlenden Meinungsfreiheit bis zur fehlenden Reisefreiheit. - Wie verlief Ihr Berufsweg?
Ich habe Physik studiert und war als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Umweltschutz in Lutherstadt Wittenberg tätig. Bewusst habe ich mich für ein ideologiefreies Fach entschieden. Nach 1990 war ich stellvertretender Landrat des Landkreises Wittenberg und von 1992 bis 2002 Direktor des Arbeitsamtes Wittenberg. 2002 wurde ich Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, 2006 Wirtschaftsminister und seit 2011 bin ich Ministerpräsident. Ich habe also sowohl die Bundesebene als auch die Länder- und Kommunalebene kennengelernt. - Was haben Sie in der Freizeit getan?
Als Familienmensch habe ich sehr viel Zeit in meiner Großfamilie verbracht. Ich bin im letzten Jahr zum fünften Mal Großvater geworden. Zudem war und bin ich ein passionierter Leser und ich habe mich früh kirchlich engagiert. - Wen aus der DDR verehren Sie besonders und wofür?
Meine Frau – dafür dass sie mich geheiratet hat. Und ich empfinde großen Respekt für meine Mutter. Ihrem Durchsetzungswillen und ihrer Standhaftigkeit ist es zu verdanken, dass ich ohne Jugendweihe das Abitur ablegen konnte. - Was hat Ihre DDR-Vita besonders geprägt?
Als überzeugter Katholik gehörte ich in der DDR einer vom Staat argwöhnisch beobachteten Minderheit an. Viele Katholiken haben in Distanz zur Mehrheitsgesellschaft und zur Partei, die den Atheismus als Teil ihres Parteiprogramms verstand, gelebt. Und das hat mich natürlich auch immunisiert gegen solche Parolen wie “Die Partei hat immer recht.” Man war skeptischer und zurückhaltender gegenüber dem “Mainstream”. - War das Verhältnis von Männern und Frauen zueinander anders als heute?
Ich habe zwar zuweilen den Eindruck, dass es entspannter und unverkrampfter war. Aber die Frage ist schwer zu beantworten. Der Anteil der berufstätigen Frauen war in der DDR einer der höchsten in der Welt und ihr Alltag durch Berufstätigkeit und Haushalt geprägt. Die Berufstätigkeit der Frauen hat natürlich auch die Männerwelt verändert. Alte Rollenmodelle wurden infrage gestellt. Frauen in der DDR galten als selbstbewusst und emanzipiert. Aber das hatte auch Grenzen. In der DDR gab es in 40 Jahren (bis zur friedlichen Revolution) nur drei weibliche Minister.
- Welche Meinung hatten Sie 1990 zur Wiedervereinigung?
Ich habe sie immer als ein großes Geschenk betrachtet. Vor allem habe ich sie auch als einzigen Weg gesehen, um den Osten Deutschlands wirtschaftlich schnell wieder auf die Beine zu bekommen. - Welche Meinung haben Sie heute zum vereinten Deutschland?
Wir Deutschen können uns glücklich schätzen. Wir leben in Frieden und Freiheit. Unser Land ist wirtschaftlich stark, wovon auch die Menschen profitieren. Jeder hat bei uns die Chance, etwas aus seinem Leben zu machen. Das ist selbst in Europa nicht selbstverständlich. In der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West sind wir gut vorangekommen, auch wenn wir uns manches schneller erhofft haben und hier noch nicht am Ziel sind. Dafür werden wir noch viele Jahrzehnte brauchen.Und falls Sie noch Ihren Lieblings-Ostwitz loswerden wollen: nur zu.
SED-Parteitag in Berlin. In der 10. Reihe steht ein Delegierter auf und sagt: “Ich hätte da mal zwei Fragen. Erstens, was nützt uns dieser Parteitag? Und zweitens, was kostet er?” Der Tagungsleiter erklärt: “Genosse, diese Fragen werden wir nachher beantworten. Jetzt ist erst einmal Mittagspause.” Nach der Mittagspause steht ein Delegierter in der 15. Reihe auf und sagt: “Ich hätte da mal drei Fragen. Erstens, was nützt uns dieser Parteitag? Zweitens, was kostet er? Und drittens, wo ist eigentlich der Genosse aus der 10. Reihe?
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