Volksbühne, im Vordergrund das "Räuber"-Rad, Foto Pixabay

Der Dokumentarfilm „Partisan“ nähert sich dem Volksbühnen-Mythos und schreibt daran mit.

“Durchs Gebirge, durch die Steppe zog unsere kühne Division …” Man kann sich Frank Castorf gut auf einem Schimmel vorstellen, wie er an der Spitze seiner tollkühnen Schar alles niederreitet, was nicht rechtzeitig aus dem Weg und in den Sitzen ist – Kritiker, Politik, Publikum. „Da anzugreifen, wo es keiner erwartet, das ist Partisanentaktik, und das ist natürlich auch die Aufgabe des Theaters heute.” Dieser titelgebene Castorf-Spruch steht für die Wucht von arbeitswütigen Stücken, die überraschen, mitreißen und subversiv dem Zeitgeist-Tanderadei widerstehen.

Für alle, die nicht so oft ins Theater gehen, eine kurze Einführung: Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wurde 1913/14 dank der Spenden von Vereinsmitglieder („Arbeitergroschen“) errichtet, im Krieg zerbombt, danach wieder aufgebaut und ist mit heute 800 Plätzen im Großen Saal lange Zeit eines der profiliertesten Berliner Theater gewesen. In den letzten 25 Jahren hat Frank Castor die Berliner Volksbühne als Intendant und Regisseur geprägt, sie in einen Ort des Exzesses und der Utopie verwandelt und nebenher  auch in ein Symbol des widerspenstigen Ostens. Dabei sprengten seine Inszenierungen oft Raum und Zeit: Er zerbröselte Texte, brachte sie mit anderen in Beziehung, die sich thematisch klar oder auch weniger klar berühren, wie Goethe und den Theoretiker des antikolonialen Befreiungskampfes Frantz Fanon. Die dadurch entstehenden Stücke in Überlänge profitierten von exquisiten Bühnenbildern, lange Zeit zu danken dem 2015 verstorbenen Bert Neumann. Und von der Erweiterung der Bühne per Video-Einspielungen aus anderen Räumlichkeiten. Oft waren sie ein Gewaltritt für Schauspieler wie Zuschauer – und produzierten die Beglückung, die entsteht, wenn man Meistern des Fachs zusieht, wie sie an ihre Grenzen gehen. Gleichzeitig ermöglichte Castorf auch anderen Regisseuren ihre besonderen Volksbühnen-Momente: Christoph Schlingensief, Herbert Fritsch, René Pollesch, Christoph Marthaler. Voriges Jahr lief Castorfs Vertrag aus und wurde nicht verlängert.

Die Filmregisseure Lutz Pehnert, Matthias Ehlert und Adama Ulrich besingen diese Castorf-Ära. Interviews, Anekdoten, irre Bühnenszenen geben einen Eindruck, unter welchem Hochdampf die Volksbühne-Inszenierungen entstanden sind. Zu Wort kommen dabei neben Castorf natürlich die Schauspieler, wie Henry Hübchen, Sophie Rois, Martin Wuttke, Alexander Scheer, Kathrin Angerer, Hendrik Arnst, aber auch die Souffleuse und die Bühnenmeister. Die Volksbühne war ein Theater, zu dem auch die Gewerke hinter den Kulissen Großartiges beigetragen haben. Der Film spart auch die Zeit nicht aus, als die Volksbühne um 2007 herum erstarrt schien in Castorfschen Manierismen und wichtige Akteure ihr den Rücken kehrten. Von denen viele, wie Wuttke und Fritsch, nach einer Beziehungspause dann doch zurückgekehrt sind und beim neuerlichen Aufschwung wieder Prägendes geleistet haben.

Kurz geht der Film auch auf den neuen Intendanten Chris Dercon ein, einen Kulturmanager, dessen Aufführungen derzeit vom Feuilleton verrissen werden und der mit Tschüss-Chris-Aufklebern in der Volksbühne-Umgebung davongewünscht wird. Die Berliner Politik, vertreten vom Regierenden Bürgermeister Müller und dem damaligen Kulturstaatssekretär Renner, erhoffte sich wohl noch mehr Internationalität und einen ökonomischen Beitrag zum Städtemarketing.  Es ist ein Skandal, wie leichtfertig sie das Theater mit politischem Anspruch aufgegeben hat. Statt frischem Wind kam abgestandene Luft.

Castorf ist weiterhin zu erleben – am Berliner Ensemble, in Hamburg, mit dem “Faust” beim Berliner Theatertreffen. Damit geht es dem Theater-Partisanen deutlich besser als dem Textautor des Amur-Liedes: Pjotr Parfjonow wurde 1937 während Stalins Großen Terrors erschossen.

Den Film zeigt das Kino Babylon-Mitte in Berlin wieder am 10. März, 19:30 Uhr.

Film auf der Berlinale
Lied “Partisanen vom Amur”

 

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